Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
zusammenzuschrumpfen, bis nur noch eine Hülle übrig blieb, die zufällig Ähnlichkeit mit Tom hatte.
Gerechterweise musste man sagen, dass sich Mellie wirklich Mühe gab. Und sie war gut: Sie probierte es mit »Du kannst mit mir über alles reden«, schlug mit »Kopf hoch, Soldat« auch einmal einen zackigeren Ton an (aber den hatte eigentlich nur Weller drauf). Und in ihrer Verzweiflung ließ sich Mellie sogar zu einem weinerlichen »Wir brauchen dich doch« herab.
Worauf Tom praktisch nur mit vier Worten antwortete, alle klirrend vor Eis: »Lass mich in Ruhe.«
Zwanzig Minuten später stieg Mellie wieder die Eisenleiter hinunter. Aber als Tom den Kopf drehte und Cindi einen Blick zuwarf, da spürte sie es: Zum ersten Mal seit Tagen hatte sich der Schleier gelüftet, und er sah sie wirklich, als diejenige, die sie war.
»Es war nicht meine Idee«, sagte sie. »Sie hat sich selbst eingeladen.«
»Ich weiß.« Eine Pause, dann: »Du musst nicht weggehen, Cindi. Ich fände es schön, wenn du dableibst.«
»Okay.« Sie hatte einen Kloß im Hals. Es lag kein Lächeln auf Toms Gesicht noch frohlockten irgendwelche Engelschöre. Da waren nur Tom und sein Monster. Die schwarze Faust, die sein Herz umschlossen hielt und von der sie manchmal fürchtete, sie könnte zu fest zudrücken und ihn zermalmen. Doch zu hören, dass er es schön fände, wenn sie dablieb, war schon mal ein Anfang. Eine gemeinsame Basis.
Aber jetzt … das .
»Und ihr seid euch ganz sicher, er hat nie was davon gesagt, dass er zum Bergwerk will?« Mellie bedachte erst sie und dann Luke, der neben Cindi an dem rustikalen Küchentisch saß, mit einem bösen Blick. Sie hatten ihr Lager in einer längst verlassenen Farm aufgeschlagen: eine kunterbunte Ansammlung von Gebäuden, darunter ein altes zweistöckiges Bauernhaus, ein Schweine- und ein Kuhstall, ein Silo und eine Reihe baufälliger Schuppen, die ringsum von weitläufigen Wiesen umgeben waren; auf den etwas entfernteren Hügeln hatten sie Spähposten eingerichtet. Im Haus schliefen nur Weller und Mellie, außer wenn jemand krank oder verletzt war. Und das war momentan – gaaanz, ganz schlecht! – Tom, der jetzt in Wellers rückwärtigem Schlafzimmer im oberen Stockwerk lag. »Gar keine Anzeichen?«
»Nein«, flunkerte Cindi und wippte dabei mit dem rechten Bein, dass der Tisch wackelte. Eine schlechte Angewohnheit, die ihre Mutter schon immer kritisiert hatte: Cindi, bei dir wird sogar der Kaffee nervös . In Anbetracht der Tatsache, dass ihre Mutter Kinderpsychologin war, hieß das einiges. »Wird er wieder gesund?«
»Ja, da bin ich mir sicher, und … bitte. « Mellie legte eine Hand auf Cindis Arm, mit der anderen hielt sie ihre dampfende Kaffeetasse fest. »Kaffee ist heutzutage schwer zu bekommen, da möchte ich keinen Tropfen verschütten.«
»Entschuldigung.« Cindi klemmte ihre Hände zwischen die Oberschenkel. »Da war so viel Blut. Und er hatte ziemlich üble Schnittwunden.«
»Das Blut war nicht nur von Tom. Sah wahrscheinlich schlimmer aus, als es ist.«
»Ja, hoffentlich.« Luke war so blass, dass die Ringe unter seinen Augen aussahen wie mit blauer Fingerfarbe hingemalt. »Noch ein bisschen schlimmer, dann wäre er jetzt wohl tot. Hat Tom gesagt, wie viele er gesehen hat? Sollen wir sie verfolgen? Oder vielleicht … ich weiß nicht … von hier weggehen?«
»Lasst uns nichts überstürzen, ja?« Mellie verstand es vorzüglich, Fragen auszuweichen. »Ich denke, es hilft Tom jetzt am meisten, wenn …« Beim Geräusch schwerer Schritte schaute sie auf. »Und?«
»Geht schon«, erwiderte Weller, aber es klang barsch und gedankenverloren. Schon von Natur aus etwas griesgrämig, wirkte er mit seinen grauen Bartstoppeln auf Wangen und Kinn noch unwirscher, wie ein alter Bär mit Zahnschmerzen. Cindi hatte gedacht, er würde nach der Zerstörung des Bergwerks viel freundlicher werden, aber je länger Tom in seinem Turm ausharrte, desto finsterer schaute Weller drein. Allerdings, wenn man sich den rostroten Verband an Wellers Hals und seiner rechten Schulter ansah … sie wäre wahrscheinlich auch total mies drauf, wenn ihr ein Chucky ein Stück vom Körper abgebissen hätte.
»Was heißt › geht schon ‹ ?«, wollte Mellie wissen.
»Das heißt: mal sehen.« Weller ging zu einem Tisch, wo ein Campinggasbrenner vor sich hin zischte, und kramte in einem Karton. »Ihr Kinder geht jetzt wieder schlafen. Was Tom am meisten braucht, ist Ruhe.«
So wie Luke dreinschaute,
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