Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
dass er nur mit Wehmut daran denken konnte, dass es diese kleinen Freuden eines Tages auch nicht mehr geben würde. In den nächsten Jahren oder sogar Jahrzehnten würde niemand mehr Kaffeebohnen importieren oder löslichen Kaffee herstellen. »Ich sage nur, ich kann seine Beweggründe verstehen. Außerdem meine ich, es wäre in unser aller Interesse herauszubekommen, was er an diesem Chuckymädchen so beunruhigend fand. Ich kaufe ihm einfach nicht ab, dass er uns alles erzählt hat.«
»Aha?« Weller konnte förmlich hören, wie sie die Augenbrauen hochzog. »Und was verschweigt er uns deiner Meinung nach?«
»Ich glaube, das weiß er selbst nicht so genau«, antwortete Weller und tippte das Päckchen an, sodass das Kaffeegranulat in einem langsamen Strom in die Tasse rieselte. »Ist nur so ein Gefühl. Ich glaube, er ahnt irgendwas, kann es aber nicht benennen. Verstehst du, was ich meine? Als würde man jemanden in einer Menschenmenge sehen und könnte schwören, dass man ihn von irgendwoher kennt, weiß aber nicht woher, und auch nicht, wie er heißt. Wie auch immer, ich denke, wenn man sich ein bisschen zu ihm setzt, ohne ihn zu drängen, und abwartet, bis er sich beruhigt … dann wird das, was ihn so verstört, schon mal zur Sprache kommen.« Vorausgesetzt, man hilft ein bisschen nach. Aber das brauchte Mellie nicht zu wissen. »Das Beste für ihn ist, wenn er erst mal zur Ruhe kommt; dann schicken wir ihn wieder mit den Kindern los. Die erden ihn besser als alles andere.«
»M-hm.« Pause. »Ich frage mich, wie gut ihr beiden noch miteinander auskommen werdet, wenn wir erst in Rule sind.«
Wellers Herz setzte einen Schlag aus. Ganz ruhig. Lass dich nicht von ihr provozieren. Zornig reckte er das Kinn vor, versuchte jedoch, sich wieder zu entspannen. »Ja, wie ist denn da der Stand der Dinge? Wie lange müssen wir hier noch rumhocken?«
»Hast du ein Problem damit?«
Er rührte um und sah zu, wie sich die Flüssigkeit immer schneller drehte und dunkler wurde. »Ich frage nur.«
Wieder eine Pause. »Wir müssen noch warten.«
Er warf ihr einen Blick zu. »Worauf?«
Sie bedachte ihn mit einem kühlen Lächeln. »Na, gehen wir es doch mal durch: Du bist ein bisschen ramponiert, Tom ist schwer angeschlagen, und von den Kindern können nur wenige wirklich kämpfen. Ich bin auch dafür, dass wir Tom jetzt, wo er wieder da ist, sinnvoll einsetzen. Statt in der Weltgeschichte herumzurennen und nach einem Mädchen zu suchen, das tot ist: ein paar Bomben, ein paar Flammenwerfer – das wär genau das Richtige.«
»Aber das ist doch nicht der Grund, warum wir warten«, erwiderte Weller. » Er hat genug Sprengstoff in Reserve. Ohne ihn hätten wir ja nicht einmal das C4. Also, worauf warten wir?«
»Das kann dir doch egal sein. Ehrlich gesagt finde ich, du könntest sogar ganz froh darum sein. Jede Sekunde Verzögerung ist ein Aufschub, bis Tom erfährt, was für ein Lügner du bist.«
Unwillkürlich überkam ihn Angst. »Als ob du immer ganz ehrlich gewesen wärst.«
»Stimmt. Aber wo du und Tom auf einmal Blutsbrüder geworden seid … hast du dir mal überlegt, dass es für alle Beteiligten günstiger sein könnte, wenn Tom es nicht schafft?«
Er sah sie durchdringend an. »Wage das nicht einmal zu denken!«
»Jemand muss ja mal denken.« Sie breitete ihre Hände aus, die wettergegerbt und so derb waren wie alles an ihr. »Wenn Tom die Wahrheit erfährt, könnte es gut sein, dass er sich nicht entscheiden kann, ob er dich an die Chuckies verfüttern oder dich lieber ganz, ganz langsam mit eigenen Händen umbringen soll.«
»Lass das mal meine Sorge sein.«
»Klar. Deine Sache … vorläufig. Denn wenn wir aufbrechen« – sie zuckte die Schultern – »dann befolge ich die Befehle, die ich erhalte. Aber vorerst will er ja, dass wir noch warten.«
Worauf warten? Das war die große Frage. Insgeheim musste sich Weller eingestehen, dass ihm die Vorstellung, nach Rule zurückzukehren, überhaupt nicht behagte. Denn Mellie hatte recht. Er hatte wirklich einer Menge Leute eine Menge Lügen aufgetischt. Er hatte geglaubt, wenn er Peter zu Fall brachte – der wirklich Dreck am Stecken hatte –, dann das Bergwerk sprengte und all die von Rule so gehätschelten kleinen Chuckies umbrachte, würde das den alten Schmerz lindern, der noch immer tief in ihm steckte. Oder es würde zumindest das Bild der lieben toten Mandy endlich verblassen lassen. Doch er hatte noch viel Schlimmeres getan, als nur zu lügen. Er
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