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Ashford Park

Ashford Park

Titel: Ashford Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Willig
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Großmutter», sagte Clemmie, an der die Worte ihrer Mutter vorbeirauschten, ohne einen Sinn zu ergeben. «Wenn sie nicht deine Mutter war, kann sie nicht meine Großmutter gewesen sein.»
    «So hat sie es nie gesehen», sagte Clemmies Mutter. «Es würde ihr weh tun, dich so reden zu hören. Deine Granny Addie hat dich geliebt.»
    «Sie war nicht meine Granny Addie.» Clemmie fühlte sich, als hätte jemand mit Fäusten auf sie eingeprügelt. Sie kam sich dumm vor, schwer von Begriff. «Sie war meine … keine Ahnung. Großtante soundsovielten Grades? Wie konntest du mir das verheimlichen? Du hättest es mir sagen müssen.»
    «Was hätte das denn gebracht?» Der Ton ihrer Mutter war beinahe beschwörend. «So hattest du eine Großmutter, eine richtige Großmutter. Warum hätte ich dir das nehmen sollen?»
    «Du hättest es mir sagen müssen», wiederholte Clemmie unnachgiebig. Sie kam nicht darüber hinweg, dass ihr niemand die Wahrheit gesagt hatte. «Hat Dad es gewusst?», fragte sie heftig.
    «Ja.»
    «Bob? Bill?»
    «Nein.»
    Es hätte sie trösten müssen, dass ihre Brüder auch nichts wussten, aber so war es nicht. Den beiden wäre es sowieso egal gewesen. Sie hatten immer mehr zu ihrem Vater gehört. Sie hatten ihre andere Großmutter gekannt, die Mutter ihres Vaters, die schon tot gewesen war, als Clemmie zur Welt kam. Nur Clemmie war nach der Scheidung mit ihrer Mutter nach New York umgezogen. Sie war täglich bei Granny Addie aus und ein gegangen, und jeder hatte ihr gesagt, wie ähnlich sie einander seien, wie sehr sie nach ihrer Großmutter gerate.
    Nach welcher Großmutter?
    «Jon hat es auch gewusst, stimmt’s?»
    Clemmie brauchte gar nicht auf das bejahende Nicken zu warten. Es war so offensichtlich. Deshalb war er ihren Fragen immer ausgewichen, deshalb hatte sie immer das Gefühl gehabt, er habe Geheimnisse vor ihr. Sie fuhr sich mit zitternder Hand durch die Haare. Beas Haare, blond, kurz, in einem glatten Pagenkopf geschnitten. «Ich melde mich später», sagte sie und fügte vom schlechten Gewissen getrieben hinzu: «Wenn du mich wegen der Wohnung brauchst, melde dich, okay?»
    «Wohin willst du?», fragte ihre Mutter.
    Weg. Nur weg. Irgendwohin, wo sie ungestört toben konnte. Wenn sie blieb, würden sie sich doch nur im Kreis drehen, und am Ende würde jemand etwas Unverzeihliches sagen, was man später nicht mehr zurücknehmen konnte.
    Du hast mich belogen. Du hast mich belogen.
    Sie wusste nicht, ob sie es zu ihrer Mutter sagte oder zu Granny Addie, aber das war auch egal. Sie musste hier raus.
    «Raus», sagte sie kurz. «Nur raus.»

Kapitel  20
New York, 1999
    C lemmie! Ich dachte, du wärst das chinesische Essen.»
    Jon stand im Türrahmen und blockierte den Zugang. Er schien sich nicht sonderlich zu freuen, sie zu sehen. Gut. Sollte ihm ruhig mulmig sein. Aber richtig.
    Eigentlich hatte sie nach Hause gehen wollen. Doch nach ein paar Schritten hatte es sie statt nach links nach rechts gezogen, Richtung Harlem. Rund um sie herum fuhren Taxis Scharen von Leuten in Feierstimmung zu ihren Silvesterpartys. Sie wusste aus Erfahrung, dass es beinahe unmöglich war, am Silvesterabend ein Taxi zu bekommen. Doch das störte sie nicht. Sie wollte laufen; sie musste laufen. Sie hatte ihre Handschuhe bei Granny Addie, bei Addie, vergessen, aber sie würde bestimmt nicht umkehren, um sie zu holen. Sie schob die kalten Hände in die Manteltaschen, klappte den Kragen hoch und stapfte über glitschiges Laub und abgebrochene Ästchen in den Park. Am Nachmittag hatte es leicht geschneit, die dünne Schneedecke war jetzt zu einer feinen Kruste gefroren, die sie unter ihren Füßen knirschen hörte, während sie immer schneller ging und ihr Atem, der in kurzen Stößen kam, die Luft vor ihr trübte.
    Ihre Mutter wäre entsetzt, wenn sie gewusst hätte, dass sie durch den Park ging. Der Park war absolut tabu gewesen, als sie noch klein war. Nach Einbruch der Dunkelheit nicht in den Park, nie weiter als bis zur 96 . Straße, nie auf die West Side. All diesen Geboten und vielen mehr hatte sie ihrer Mutter und Granny Addie zuliebe bedingungslos gehorcht. Sie hatte sich solche Mühe gegeben, es ihnen recht zu machen – und wofür? Clemmie rutschte mit ihren ungeeigneten hochhackigen Schuhen auf einer dünnen Eisplatte aus und konnte sich in letzter Minute fangen. Sollte doch einer aus dem Busch springen und sie überfallen. Sie würde ihm einen Tritt in die Eier geben, dass er für sein Leben genug hatte.

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