Ashford Park
gerichtet. Dodo war jetzt die zukünftige Lady Kilkenny. Bryan war kleiner als sie, und ihm fehlte ein Arm, aber er hatte die besten Pferde in Irland. Er und Dodo redeten in einem unverständlichen Jargon von rückständigen Sprunggelenken und Widerrist. Sie hatten sich in Melton niedergelassen und es damit zur Mode gemacht, in Mode zu sein, indem man der Mode nicht folgte.
Bea war derweilen fast geplatzt vor Langeweile und Ungeduld daheim in Ashford. Immer Ashford. Jemand müsse sich um den Hof kümmern, hatte ihre Mutter erklärt. Ihr Vater habe Wichtigeres im Kopf, und wer konnte wissen, was diese Frauen, die ihnen vom Militär als Landhelferinnen geschickt wurden, anrichten würden.
Bea wusste, dass das reiner Quatsch war. Schließlich lag ihre Mutter ihr mit ständigen Ermahnungen in den Ohren, nicht zu lange in der Sonne zu bleiben, sich nicht braun brennen zu lassen, ihre Hände zu schonen. Sie trug überhaupt nichts zu den gemeinsamen Kriegsanstrengungen bei. Sie wurde in Watte gepackt und eingemottet, um nach dem Krieg wieder aus dem Schrank geholt zu werden wie eine kostbare Porzellanfigur oder eine sehr alte Flasche Portwein, die auf keinen Fall geschüttelt werden durfte.
Bea sah sich mit entschiedener Langeweile im Ballsaal um. Die Saison war zur Hälfte vorüber, und Bea hatte das Gefühl, immer wieder auf demselben Fest gewesen zu sein – unter denselben Leuten, in denselben Kleidern, mit derselben Musik. Dieselben müden Girlanden hingen über denselben vergoldeten Sesseln, in denen dieselben schläfrigen Matronen dösten.
Und hierfür war sie wie ein rohes Ei behandelt worden. Darauf hatte sie die ganzen Jahre gewartet, endlose Stunden in Ashford vertan. Sie hatte Leben erwartet. Romantik. Abenteuer. Und was bekam sie? Halb zerlaufenes Eis von Gunter’s, Mädchen in matten pastellfarbenen Kleidern und einen Ballsaal voll angegrauter Männer im Alter ihres Vaters und grüner Jungen, frisch von der Schulbank, die man als Lückenbüßer geholt hatte. Die Kapelle zupfte lustlos einen Walzer. Obwohl der Waffenstillstand schon vor acht Monaten geschlossen worden war, hatte London sich immer noch nicht richtig von den Strapazen des Krieges erholt. Statt der Blumen, die früher die Ballsäle geschmückt hatten, gab es jetzt nur noch Papierschlangen und ein paar müde Kletterpflanzen. In den Gewächshäusern und Blumengärten von vor fünf Jahren war Gemüse gezogen worden, während verhinderte Debütantinnen dahinwelkten und das Alter ihrer Hochblüte überschritten im weiter tobenden Krieg.
Da draußen, hinter diesen eisblauen Wänden, das wusste Bea, gab es Musik und Tanz, richtigen Tanz. Die wenigen tauglichen Männer im Saal, die den ehrwürdigen Matronen brav Zitronenlimonade holten, würden verschwinden, bevor der Abend um war, und ihr Vergnügen woanders suchen, in rauchgeschwängerten Nachtklubs draußen in den Vororten der Stadt, wo es keine Anstandsdamen und keine steife Etikette gab.
Gott, wie sie sich langweilte. Einfach bodenlos.
Aber das durfte man nicht zeigen. Man musste immer so tun, als amüsierte man sich königlich, als hätte man ein köstliches kleines Geheimnis, das man beim richtigen Anreiz vielleicht zu teilen bereit wäre.
Dieser Taktik eingedenk, warf sie über die Schulter hinweg Marcus ein kleines verheißungsvolles Lächeln zu.
Marcus, Marquis von Rivesdale, auf den sich alle Hoffnungen und Ambitionen ihrer Mutter konzentrierten. Einen Meter achtzig groß, breitschultrig und sportlich. Dunkelblondes Haar. Gesunder Teint. Guter Humor. Tanzte passabel und küsste annehmbar, soweit sie das nach den wenigen gestohlenen Momenten hinter einer Topfpalme beurteilen konnte. Es hieß, er sei ein hervorragender Golfspieler.
Eigentlich war er wirklich nicht übel. Er war sogar ziemlich … na ja. Über solche Dinge durfte man sich keine Gedanken machen. Die Liebe sei etwas für die Mittelschicht, sagte ihre Mutter immer, nichts als eine Schwäche. Das feine Prickeln im Nacken, wenn er lächelte, hatte man zu ignorieren. Man hatte keine weichen Knie oder Herzklopfen zu bekommen oder wie eine Wahnsinnige zur Tür zu rennen, um zu sehen, ob die eben gelieferten Blumen von ihm waren.
Marcus fing ihren Blick auf und lächelte breit. Mit einer kurzen Kopfbewegung wies er zur Fenstertür, die zum äußerst willkommenen Balkon hinausführte.
Bea schenkte ihm ein Lächeln, das nichts versprach, aber auch nichts versagte, und wandte sich ab.
«Siehst du?», sagte sie zu ihrer Mutter.
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