Ashford Park
drehten.
«Na ja, findest du ihn nicht ein bisschen gewöhnlich?»
«Gewöhnlich?» Bea war gekränkt für Marcus. Addie schien keine Ahnung zu haben, dass Männer geeigneten Alters mit Titel und gesunden Gliedern eine Seltenheit geworden waren. «Wirklich nicht. Du brauchst ihn dir doch nur anzuschauen. Fast so gut wie ein Herzog und kein Tattergreis.»
«Ja, aber liebst du ihn denn?»
Manchmal glaubte sie, ja, manchmal, wenn Marcus sie mit diesem besonderen Blick ansah oder seine Hand unter ihr Kinn schob und sachte ihren Kopf anhob, bevor er sie küsste. Es war aufregend und erschreckend zugleich. Liebe habe in starken Bündnissen keinen Platz, erklärte ihre Mutter ihr immer. Eine Ehe sei ein Vertrag und kein Roman. Die Leute ließen sich wegen dieser Verrücktheit, die sie Liebe nannten, zu den größten Torheiten hinreißen. Es war besser, sich solche Ideen aus dem Kopf zu schlagen.
Und trotzdem. Manchmal …
Addie verstand das einfach nicht. Ihre Eltern hatten aus Liebe geheiratet und in Bloomsbury ein lockeres Bohemeleben geführt. Sie konnte es sich leisten, kleinlich nach der Bedeutung von Erfolg und dem Sinn der Ehe zu fragen. Bea konnte es nicht.
Sie hatten oben im Spielzimmer zusammen ihre Romane verschlungen, sie und Addie, und die Geschicke ihrer Helden und Heldinnen mit tiefen Seufzern der Anteilnahme begleitet. Aber es gab einen Unterschied zur Realität. Im Roman konnte ein Rochester eine Jane Eyre heiraten. Im richtigen Leben waren Frauen wie Blanche Ingram diejenigen, die in Glück und Wohlstand lebten, das wusste Bea. Sie war nicht herzlos, sondern nur realistisch.
Trotzdem machte ihr Addies Missbilligung zu schaffen.
Bea sprang von ihrem Hocker auf. Ihre Tasche schlug knallend gegen die Glasauflage des Toilettentischs. «Du bist bürgerlich, Schätzchen. Lass das nur Mutter nicht hören.» Die schnippischen Worte taten ihr leid, als sie das Gesicht ihrer Cousine sah. «Keine Sorge, Liebes. Wenn ich meinen Marquis heirate, kannst du zu mir ziehen und heiraten, wen du magst, und wenn es ein Kaminkehrer ist.»
«Und wenn ich gar nicht heiraten will?»
Bea schauderte. «Lass das bloß Mutter nicht hören», sagte sie wieder und nahm Addie bei der Hand, um sie vom Hocker hochzuziehen. «Komm mit, Addie. Schau deiner listenreichen Cousine Bea bei der Arbeit zu.»
Im Ballsaal hatte die Kapelle jetzt zu einem schottischen Reel gewechselt, um wenigstens einen Anschein von Stimmung hervorzurufen. Einige wenige Paare absolvierten hüpfend die Figuren. Marcus tanzte mit Lavinia ffoulkes, der Frau mit dem mangelhaften Nachnamen. Lavinia war beinahe so alt wie Bea, ebenfalls eine Geschädigte des großen Kriegs, die erst jetzt, mit einundzwanzig, zu ihrem gesellschaftlichen Debüt gekommen war. Die Ausgelassenheit, mit der sie den Kopf warf, hatte beinahe etwas Verzweifeltes, und ihr übertrieben mädchenhaftes Kleid wirkte peinlich keck. Bea entging nicht, wie eisern sie sich an Marcus’ Arm klammerte, als der Tanz sie zusammenführte.
Marcus warf Bea über Lavinias Kopf hinweg einen Blick zu und verzog das Gesicht.
Am Büfett lungerte wie gewöhnlich eine Gruppe Männer herum. Bea stieß Topper Bingham mit dem Ellbogen an. «Fordere meine Cousine doch mal zum Tanzen auf.»
Topper torkelte nur ein wenig. «Warum kann ich nicht dich auffordern?», fragte er mit schon schwerer Zunge. Bea meinte etwas wesentlich Stärkeres als Champagner in seinem Atem zu riechen.
Sie musterte ihn mit routiniertem Blick: gerade betrunken genug, um brav zu gehorchen, nicht zu betrunken, um tanzen zu können.
«Weil du mir schon einmal auf den Rocksaum getreten bist», erwiderte sie. «Jetzt ist mal eine andere an der Reihe. Also, geh schon. Und sag Tommy, ich erwarte von ihm, dass er nach dir mit Addie tanzt.»
Na also. Sie hatte ihren Teil beigetragen. Jetzt war es an Addie. Nicht dass man Topper oder Tommy als Ehemänner in spe hätte empfehlen können: Topper war auf dem besten Weg in die Trunksucht und Tommy war der jüngere Sohn eines jüngeren Sohnes, doch Popularität konnte nicht schaden. Wer populär war, grübelte nicht.
«Hier bist du also.» Sie blickte auf und sah Marcus vor sich stehen, groß und gutaussehend auf diese ungemein gesunde englische Art. Im Alter würde er dick werden, aber jetzt war er noch ein Prachtexemplar von Mann. Außerdem, dachte Bea leichtfertig, hatte er alle seine Glieder und was mehr konnte ein Mädchen heutzutage verlangen? «Ich suche dich schon die ganze
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