Ashford Park
Enkelkind in direkter Nähe gewesen, der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ihrer Großeltern. Ihre Brüder waren wesentlich älter, beide Ende zwanzig, verheiratet und überdies weit weg, in Kalifornien. Onkel Teddy lebte in Greenwich, nicht allzu weit entfernt, aber seine Kinder waren eine halbe Generation älter als sie, studierten, zogen in andere Gegenden, heirateten.
Außerdem kamen Onkel Teddy und Tante Patty fast nie zu Besuch. Clemmie spürte, wie Kinder so etwas eben spüren, dass Granny Addie und Tante Patty nicht viel füreinander übrighatten. Granny fand Onkel Teddys Frau niveaulos, langweilig und schlicht. Eine Hausfrau, nannte Granny sie mit einer Herablassung, die schlimmer war als offene Kritik. Dafür hielt Tante Patty ihre Kinder von Granny so fern wie möglich.
Und dann kam plötzlich Jon daher. Tante Anna und Jons Vater zogen in eine Wohnung in der Nähe der Columbia University und schrieben Jon an der Collegiate School ein. Nicht nur war er Clemmie altersmäßig nahe, er war auch noch intelligent und zeigte es mit der Arroganz, die alle Collegiate-Schüler automatisch mit ihren Blazern anlegten. Plötzlich war nicht mehr nur Clemmie auf dem Weg an eine Elite-Universität, sondern auch Jon. Und er war ihr drei Jahre voraus, drei Jahre näher am Erfolg und großelterlichen Applaus. Er mokierte sich über den läppischen Lateinunterricht an ihrer Schule, mäkelte an ihren Mathematikaufgaben herum, zog darüber her, was sie in ihrer Freizeit las. Sie zahlte es ihm heim, indem sie ständig auf ihre Familienzugehörigkeit pochte –
ihre
Tante,
ihre
Mutter,
ihre
Großmutter – und absichtlich in Erinnerungen an Familienereignisse schwelgte, die er nicht miterlebt hatte.
Sie war wirklich ein Luder gewesen. Aber er nicht minder. Jeder von ihnen hatte genau gewusst, wo und wie er den anderen am meisten treffen konnte. Beide kämpften, ihren Platz zu finden.
Es hatte auch Waffenruhen gegeben. Jon hatte ihr, wenn auch widerwillig, beim Ausfüllen ihrer College-Bewerbungen geholfen. Und sie hatte nichts verraten, als er Granny Addie weiterhin besuchte, nachdem Tante Anna seinen Vater gegen Ehemann Nummer drei – oder war es Nummer vier? – eingetauscht hatte. Und es hatte Rom gegeben.
Aber über Rom redeten sie nicht.
Seufzend klappte Clemmie den Kofferdeckel herunter und zog rundherum den Reißverschluss zu. Ein Glück, dass sie aus alldem herausgewachsen waren. Irre, sich vorzustellen, wie alt sie inzwischen waren. Wenn sie vierunddreißig war, dann war Jon jetzt siebenunddreißig, auf dem besten Weg in die Vierziger. Er Universitätsprofessor, sie Rechtsanwältin. Was hätten die Teenager, die sich damals in Granny Addies Küche gezofft hatten, davon gehalten? Was hätten sie vom ganzen Rest gehalten? Clemmie hätte sich Jon niemals als geschiedenen Mann vorgestellt. Und sie hätte niemals geglaubt, dass sie mit vierunddreißig noch allein und kinderlos sein würde.
Okay, das reichte jetzt. Clemmie schleppte ihren Koffer ins Wohnzimmer und machte das Licht aus, bevor sie sich wieder in ihre Erkernische zurückzog und in ein Nachthemd schlüpfte. Im Spiegel über der Kommode bewegte sich etwas. Einen Moment lang war sie desorientiert. Dann erkannte sie, dass es ihr Spiegelbild war, durch das immer noch ungewohnt kurze Haar fremd in der schwachen Beleuchtung der Nachttischlampe.
Einen Moment lang glaubte sie – so albern es natürlich war –, sie hätte die Frau von dem Foto in Grannys Nachttischschublade gesehen. Bea.
Clemmie schüttelte den Kopf, und die Frau im Spiegel schüttelte ebenfalls den Kopf, dass ihr die Haare, kurz wie bei einem Zwanziger-Jahre-Bubikopf, ins Gesicht schwangen. Die Frisur war es, daran lag es. An der Frisur und der Beleuchtung. In Wirklichkeit war sie der Frau auf dem Foto gar nicht so ähnlich.
Sie wünschte jetzt, sie hätte es sich genauer angesehen. Sie hätte gern gewusst, was aus ihr geworden war, dieser Bea. Hatte sie ihren Marquis geheiratet? Und warum hatte Granny nie von ihr gesprochen?
Alles lange her und weit weg.
Clemmie kroch in ihr Bett, knipste das Licht aus und zog sich die Decke über die Schultern. Die Laken waren kalt, und sie rollte sich so klein wie möglich zusammen, während sie darauf wartete, dass ihre Körperwärme sich im Bett ausbreitete.
In den Nächten, wenn Dan geblieben war, hatten sie sich dicht aneinandergedrängt, um nicht aus dem schmalen Bett zu fallen; im Sommer, wenn die Hitze einen fast erstickte, hatte sie sich darüber
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