Ashford Park
innerlich noch in der Schuluniform von Eton steckten, ungebärdig und unerzogen wie junge Hunde. Desborough vermittelte im Allgemeinen den Eindruck, mühelos sich selbst zu beherrschen und seine Umgebung.
Doch nicht heute Abend. An seinem Abendanzug gab es nichts auszusetzen: Die Smokingschleife saß tadellos. Doch seine Haare waren dort, wo er den Kopf an die Mauer gelehnt hatte, durcheinander, und seine Hand zitterte kaum merklich, als er ein Glas von einem dargebotenen Tablett nahm.
Bea nahm sich ebenfalls eins, während sie beobachtete, wie er das seine in einem Zug leerte. «So aus der Fasson kenne ich Sie gar nicht. Was hat Sie denn so erschüttert? Sagen Sie mir nicht, dass es enttäuschte Liebe ist.»
Flüchtig erinnerte sie sich an Addies blasses Gesicht und hatte ein schlechtes Gewissen. Blinde Verliebtheit, sagte sie sich. Mehr nicht. Addie war ohne sie besser dran. Sie würde es Bea eines Tages danken.
«Die Menschen sind von Zeit zu Zeit gestorben, und die Würmer haben sie verzehrt, aber nicht aus Liebe.» Desborough schnippte seine Zigarette zu Boden und trat sie aus. «Kannten Sie Kenneth Cartwright?»
«Nicht persönlich, nein.» Aber der Name war ihr bekannt. Er hatte in Eton im selben Haus gewohnt wie ihr Bruder Edward. Edward zufolge war er ein fürchterlicher Waschlappen gewesen. «Er hat Gedichte geschrieben, nicht wahr?»
«Sie sprechen mit Recht in der Vergangenheit von ihm. Er hat geschrieben und wird nie wieder schreiben. ‹Denn Lycidas ist tot, tot vor seiner Blüte / der junge Lycidas, und hat nicht seinesgleichen hinterlassen / Wer würde nicht singen für Lycidas?›» Als er Beas Blick bemerkte, sagte er: «Er hat sich das Leben genommen. Den Kopf in den Ofen gesteckt und das Gas aufgedreht. Das Gas in den Schützengräben hat er überlebt und sich dann in seinem eigenen verdammten Ofen vergast. Wenn das nicht poetische Ironie ist.»
«Das tut mir leid.» Es klang peinlich inadäquat.
«Mir auch», sagte er. «Es ist eine verdammte Verschwendung. Der Krieg hat sich in seinem Kopf festgesetzt. Er konnte ihn nicht mehr frei bekommen. Also hat er ihn in den Ofen gesteckt.»
Bea wusste nicht, was sie sagen sollte.
«Gott helfe dem armen alten Cartwright.» Schwankend schüttelte Desborough den Kopf. «Er wollte Dante übersetzen. Stattdessen ist er selbst im Inferno gelandet, ohne eine Beatrice, die ihn hinausführen konnte.» Er sah Bea vielsagend an.
Bea wusste nicht genau, wovon er redete, aber eines war ganz klar. «Von mir brauchen Sie keine Hilfe zu erwarten», sagte sie bitter. «Ich bin gerade dabei, mein eigenes Leben zu verpfuschen, da habe ich keine Zeit, auch noch das anderer zu ruinieren.»
Desborough zog eine Augenbraue hoch. «Mit Ausnahme dessen Ihrer Cousine.»
So ein Unsinn. Das war etwas ganz anderes. Addie war ein Teil von ihr, sie konnte gar nicht ohne sie. Addie brauchte sie, wie sie sie immer gebraucht hatte, seit jenem Abend, als sie zerzaust und verwirrt ins Kinderzimmer in Ashton geschneit war. Sie hatte Bea damals gebraucht, um sich von ihr den Weg zeigen zu lassen, und sie brauchte sie immer noch.
Nicht dass das diesen Desborough mit seiner albernen Eifersuchtstheorie etwas anging. Als wäre sie eifersüchtig auf Addies Freunde! Addie war diejenige, die auf sie angewiesen war, nicht umgekehrt. Sie würde sich von Herzen freuen, wenn Addie jemanden fände: einen netten, freundlichen und geduldigen Mann, der gut für sie sorgte, einen Lehrer vielleicht oder einen angehenden Geistlichen. Addie würde eine vorbildliche Pastorengattin abgeben. Natürlich noch nicht jetzt, aber so mit der Zeit.
«Gibt’s nicht einen Spruch, der besagt, dass die Ausnahme die Regel bestätigt?», warf Bea schnippisch hin. «Addie hat außer mir niemanden, der sich um sie kümmert. Und ich brauche mindestens eine gute Tat, wenn ich in den Himmel kommen will.»
«Ach, und sie ist Ihre gute Tat? Das könnte sie Ihnen übelnehmen.»
Bea wurde wütend. «Man kann sie jedenfalls nicht sich selbst überlassen. Sie hat nicht einen Tropfen Weltläufigkeit im Blut, das arme Ding.»
Desborough ließ sich wieder an die Mauer sinken und betrachtete sie mit unverhohlenem Vergnügen. «Und deshalb haben Sie sich zu Ihrer Tugendwächterin ernannt?»
Bea warf ihm einen vernichtenden Blick zu. «Das klingt ja absolut mittelalterlich, so wie Sie es formulieren. Sagen wir einfach, ich helfe ihr, die Schufte auszusondern.»
Das wischte ihm die Selbstgefälligkeit vom Gesicht.
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