Ashton, der Heißbluetige
Morgendämmerung den Himmel blutrot färbte, nahm er lächelnd Lady Harquists Angebot an, in einem der Gästezimmer zu schlafen. Er lächelte, als er schwankend den Salon verließ, und als er die Türklinke des Gästezimmers herunterdrückte, lächelte er immer noch.
Weil ihn morgen vielleicht die Verpflichtung seinem Bruder gegenüber zu einem Betrüger oder Dieb oder sogar einem Mörder machen konnte, war er hier, heute Nacht und an diesem Ort ein einnehmender Schlingel, ein Mann von Welt, kurz: jemand, der lächelte.
Aber als die Tür hinter ihm zufiel und er seinen Kopf gegen das Holz sinken ließ, erstarb das Lächeln auf seinen Lippen. Er hatte ihretwegen zweihundert Pfund verloren. Raine verrottete in einem stinkenden französischen Gefängnis, und er trieb Schindluder mit Geld, mit dem er seine Freilassung erkaufen konnte. Und warum? Weil irgendjemand ein Messer zu dicht neben ihr in die Wand geworfen und er sofort angenommen hatte, dass ihr Leben in Gefahr war und er sie retten musste, indem er sich selbst zu erkennen gab - und dabei seine Wette verlor. Wenigstens hatte er genügend Geistesgegenwart besessen, seine Sorge hinter vorgetäuschter Trunkenheit zu verbergen.
Er sollte aufgehängt und gevierteilt werden. Eine Minute klaren Denkens hätte ihm gezeigt, dass es ein Unfall gewesen war, so wie der Überfall auf ihre Kutsche einfach Pech gewesen war.
Ash hatte die Gegend abgesucht, ohne auch nur die Spur eines Räubers zu finden. Und der Grund dafür war simpel: Er hatte nichts entdecken können, weil der Schurke geflohen war. Es gab in Fair Badden keinen gedungenen Mörder, der hier sein Unwesen trieb und auf eine Gelegenheit lauerte, ein mittelloses Mädchen umzubringen.
Er verzog seinen Mund zu einem höhnischen Grinsen. Entweder waren die beiden Unfälle eben das gewesen, zwei nicht zusammenhängende Unglücksfälle, oder jemand in Fair Badden trachtete Rhiannon nach dem Leben. Und wer sollte das sein und warum?
Nein, er war nur ein Narr von der übelsten Sorte, einer, der pure Wollust mit Romantik verklärte. Er hatte den größten Teil der Woche damit verbracht, sich so zu betrinken, dass endlich das Blut aus seinen Lenden wich. Es hatte nicht geklappt.
Indem er die Augen schloss, versuchte er mit dem Wein in seinem Blut den Geschmack ihres zarten Mundes zu vertreiben, den Duft ihrer seidigen Haare . . . noch sechs Tage. Dann würde sie diesem großen, unbedarften Burschen gehören.
Ash ballte seine Hände zu Fäusten und zwang seine Lippen in ein letztes Lächeln. Er musste von hier fort. Er musste von diesem verfluchten Ort fort, von diesen erschreckend wehrlosen Schafen. Der böse Wolf sollte sich wieder in den dunklen Wald zurückziehen und die Schafe völlig im Unklaren darüber lassen, in welcher Gefahr sie geschwebt hatten und wer sich ein paar Wochen lang unentdeckt in ihrer Mitte auf gehalten hatte.
Er könnte jetzt gleich gehen. Es gab keinen echten Grund für ihn zu bleiben. Er stieß sich von der Tür ab. Er würde jetzt gehen.
Außer dass jemand ein Messer geworfen hatte. Auf ihr Herz. Das wusste er.
Ash fuhr herum und schlug seine Faust gegen die Tür. Das Stilett war in Brusthöhe in die Seidenbespannung gedrungen. Es steckte im rechten Winkel in der Wand. Jemand hatte es mit tödlicher Schnelligkeit und Zielsicherheit geworfen.
Er fluchte heftig, aber am Ende änderte das nichts an seiner Entscheidung. Er würde bleiben, bis sie eines anderen Mannes Sorge, eines anderen Mannes Verantwortung wäre.
Einem anderen Mann gehörte.
12. Kapitel
Edith Fraiser saß auf der Bank vor der Küchentür, die bunten Bänder, die Rhiannons Maiköniginnenkleid zieren sollten, lagen auf ihrem Schoß. Nachdenklich blickte sie zum fernen Horizont. Schlechtes Wetter war im Anzug. Nicht heute oder heute Nacht, Gott sei Dank, denn da war Beltane. Vielleicht morgen - was fast genauso betrüblich wäre, denn nichts war trauriger als ein verregneter erster Mai.
Sie wischte sich die feuchte Stirn und fragte sich, ob es wirklich so ungewöhnlich warm war, wie sie dachte, oder ob ihre Sorgen und Nöte es ihr nur so erscheinen ließen. Sie schaute zu Rhiannon, die mit Stella an ihrer Seite damit beschäftigt war, eine Girlande aus wilden Anemonen für den Maibaum zu winden.
Noch zwei Tage, überlegte Edith und widmete sich wieder ihrer Aufgabe. Dann wäre alles in Ordnung. Noch zwei Tage, und das Mädchen wäre sicher verheiratet.
Einen entsetzlichen Augenblick lang auf Lady Harquists Ball war
Weitere Kostenlose Bücher