Ashton, der Heißbluetige
Mondlicht noch schienen die Berge blutbefleckt, der Boden mit dem Blut ihrer Clansmänner getränkt, die Erde auf ewig verdorben und unfruchtbar. Ein hoch gelegener, felsiger, tausend Morgen umfassender Friedhof.
Ihr schauderte, und sie schloss die Augen. Ihre Heimat lag in Scherben.
So reisten sie vier weitere Tage und Nächte. In der fünften Nacht überquerten sie einen hohen, baumbestandenen Hügel, von dem aus man das Meer sehen konnte. Einige Meilen vor ihnen verband eine schmale Landbrücke die Landspitze mit einer großen halbmondförmigen Insel. Sie erhob sich majestätisch aus dem Meer, massig und mit Felsen übersät. Auf der Innenseite der Sichel erhob sich ein Stück Land über die beeindruckenden Klippen im Osten. Auf seiner Spitze stand ein Schloss . . . oder eine Burg . . . oder vielleicht eine Festung.
Es war unmöglich, zu sagen, was genau das mächtige Herrenhaus war oder was es früher einmal gewesen oder später geworden war, so überreich war es mit Türmchen und Kuppeln, Geländern und Balkonen, Säulen und Pfeilern, Friesen und Giebeln versehen. Die verrückteste Schöpfung eines irren Architekten.
Aus hell erleuchteten Fensterreihen fiel Licht auf terras-senförmig angelegte Gärten und pockennarbige, gewundene Treppen. Überall schwangen und wiegten sich punktförmige Lichter - Laternen? - zu Füßen des massigen Gebäudes im Wind, wie Elfen, die um die Röcke einer riesigen Matrone tanzten.
Durch die offen stehenden Türen, durch in Licht getauchte und schattige Flecken hin und her laufend und verweilend, in Gruppen und allein in den dunklen Gärten befanden sich Menschen, Damen und Herren, Dutzende und Aberdutzende.
Belustigt und auch leicht verunsichert von dem Anblick, der sich ihr bot, schaute Rhiannon zu Ash. Sein Blick ruhte bereits auf ihr, nachdenklich und zurückhaltend, sein Gesicht von Müdigkeit und Erschöpfung gezeichnet. Er lächelte angespannt und machte eine spöttisch ausholende Handbewegung.
„Willkommen auf McClairen's Isle“, verkündete er, „und Wanton's Blush.“
19. Kapitel
Sie ließen die Pferde bei einem livrierten Diener zurück, stiegen die Eingangsstufen empor und schritten durch ein mit Schnitzereien verziertes Portal in eine Halle voller Licht, das sich in unzähligen Spiegeln und Unmengen Blattgold brach.
Unter dem seligen Lächeln der Stuckengel an der Decke hoch oben waren Dutzende von Menschen versammelt. Sie knabberten an Keksen und kandierten Früchten, verschütteten eisgekühlten Punsch auf persische Teppiche und lachten und posierten und schwitzten in ihren kostbaren Kleidern und unter ihren hoch aufgetürmten Perücken.
Ash führte Rhiannon zwischen kleinen Grüppchen Feiernder hindurch, vorbei an Tischen mit Kartenspielern. Nur wenige nahmen von ihnen Notiz. Die meisten der Anwesenden hatten seit Tagen nicht geschlafen, hatten weder Sonnenlicht gesehen noch etwas Vernünftiges gegessen. Sie waren aufgedunsen von Weingenuss und Überreizung ihrer Sinne, ihr Geist umnebelt und benommen, nachdem sie an endlosen, unsinnigen Belustigungen und niederen Vergnügungen teilgenommen hatten, die sein Vater ersonnen und entworfen hatte, um sie zu unterhalten . . . um sie zu verleiten, sorglos mit ihrem Geld umzugehen. Denn im Grunde genommen war Wanton's Blush schlicht und ergreifend nichts anderes als die lasterhafteste, die zügelloseste und die kostspieligste Spielhölle der britischen Inseln.
In wenigen Minuten hatten sie das Gedränge in der Haupthalle hinter sich gelassen und befanden sich nun auf einem schmalen Flur hinter der geschwungenen Treppe. Eine Frau, der das Kleid von der Schulter gerutscht war, kam schrill lachend aus einer nahen Tür, gefolgt von drei erhitzt aussehenden Männern, allesamt etwas unsicher auf den Beinen. Ash fasste Rhiannon um die Taille und riss sie aus dem Weg.
Seine Hände verkrampften sich. Der salzige, moschusartige Geruch der Reise stieg ihm in die Nase. Das Gefühl ihres
Körpers weckte jäh einen Hunger in ihm zu neuem Leben, den er so lange so mühsam unter Kontrolle gehalten hatte. Er sah auf sie hinab. Sie wandte ihr Gesicht ab.
Wut erfasste ihn. Was kümmert mich das, dachte er erregt. Es bedurfte nicht ihrer Verachtung, um ihm klarzumachen, wer er war.
„Na so was! Carr hat gar nichts davon erwähnt, dass heute Abend ein Maskenball stattfindet!“
Ash blickte auf. Eine in einen mit rosaroten Bändern verzierten Rock aus Seide gekleidete Gestalt, deren Kopf eine lavendelfarbene Perücke
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