Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Asperger - Leben in zwei Welten

Asperger - Leben in zwei Welten

Titel: Asperger - Leben in zwei Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Preißmann
Vom Netzwerk:
bedrohlich. Es machte mich verwundbar.
    Meine erste richtige Beziehung hatte ich mit einem anderen Medizinstudenten. Er war ein Mensch, der in vielen Bereichen mit mir auf einer Wellenlänge lag. Aus heutiger Sicht denke ich, dass auch er Autist ist. Leider gab es in dieser Beziehung jedoch viele Missverständnisse. Er hatte eine ganz andere Art, an die Medizin heranzugehen als ich. Es folgten häufige Auseinandersetzungen wegen der Prüfungsvorbereitungen, da ich große Probleme mit seiner Art des Lernens hatte. Gemeinsam aber war uns beiden das Bedürfnis nach einem Raum des Rückzugs und der Ruhe, wozu wir in zwei verschiedenen Wohnheimzimmern jederzeit die Möglichkeit hatten. Auch die Diskrepanz zwischen dem Bedürfnis nach körperlicher Zuneigung und der Unsicherheit im Körperkontakt einte uns und machte die Beziehung spannend. Ich hätte keinen Partner akzeptiert, der mit meinem Horror vor Berührung am Hals nicht hätte umgehen können. Er aber akzeptierte es, als wäre es normal. Es schien für ihn nicht ungewöhnlich zu sein, dass es Stellen am Körper gibt, die indiskutabel sind.
    Bis zu meinem Auszug aus dem Studentenwohnheim wurde unsere Beziehung zunehmend problematisch. Es gab viele Verletzungen auf beiden Seiten, und bis heute weiß ich den eigentlichen Grund für unsere Trennung nicht. Vielleicht waren wir trotz unserer Gemeinsamkeiten zu verschieden? Vielleicht aber hatte auch jeder von uns schon zu dieser Zeit zu viele eigene Probleme und Fragen, in die er versunken war. Zumindest für mich dürfte dies der Hauptgrund für die Trennung gewesen sein. Ich war verunsichert und deprimiert und ohne Halt, denn ich suchte nach einem »Zuhause« und nach einer Erklärung für das Unverständnis für meine Umwelt.
    Mit meinem jetzigen Partner bin ich schon seit zehn Jahren zusammen – wir nehmen uns so, wie wir sind
    Schon immer fragte ich mich, was wohl mit »Liebe auf den ersten Blick« gemeint ist. Ich war überzeugt davon, dass es so etwas bei mir nicht gibt. Man muss doch einen Menschen zunächst kennen lernen und schauen, welche Wahrnehmung und Kommunikation er hat. Und nur wenn diese Ebenen passen, kann sich aus meiner Sicht eine Beziehung entwickeln.
    So zumindest kam es mit meinem damaligen Nachbarn und mittlerweile zehnjährigen Partner. Zunächst hatten wir eine sehr schöne Zeit mit täglichem gemeinsamen Abendessen und guten Gesprächen. Wir sind komplett verschieden, was Hobbys und Interessengebiete angeht. Er beschäftigt sich gerne undauch beruflich mit Computern, entspannt bei lauter Musik, geht spät ins Bett und schläft lange, hasst Sport und Hitze. Ich dagegen benutze Computer nur für ihren Zweck, flippe aus bei lauter Musik, bin Frühaufsteher und liebe es, stundenlang und bis zur Erschöpfung Rad zu fahren oder zu joggen, und dies umso lieber, je wärmer es ist. Trotz dieser Unterschiede gab es schon immer eine gemeinsame Wellenlänge, die ich nicht gut beschreiben kann. Vielleicht ist dies der Autismus – obwohl ich mir noch immer nicht sicher bin, ob mein Freund auch Autist ist. Eine offizielle Diagnose hat er nicht, und für unsere Beziehung spielt das auch keine Rolle. Wir nehmen uns gegenseitig so, wie wir eben sind, was seit nunmehr zehn Jahren funktioniert. Jeder von uns hat Stärken und Schwächen. Mein Freund tut sich beispielsweise sehr schwer mit Papieren von Behörden und deren Konsequenzen. Ich dagegen kann dies ganz gut sortieren, habe dann aber Probleme, Kontakt zu den Behörden aufzunehmen und mich dort adäquat zu verhalten. Gemeinsam bekommen wir dies meist hin.
    Wir haben vermutlich eine ungewöhnliche Art, unsere Zuneigung zu zeigen. Wo sich andere Paare küssen, räume ich seine meist sehr chaotische Wohnung auf.
    Aus unserem zunächst nachbarschaftlichen Verhältnis entwickelte sich allmählich eine Partnerschaft. Wir bemerkten sehr früh, dass für uns ein gemeinsames Leben in einer Wohnung nicht dauerhaft möglich ist. Unter dem Vorwand meiner beruflichen Laufbahn zog ich in der Folge an Orte, die eine gewisse Distanz brachten. Somit hatten wir fast immer getrennte Wohnungen. Wir sehen uns an jedem freien Wochenende und zusätzlich, wenn einer von uns Urlaub hat, und wir telefonieren an jedem Tag, den wir uns nicht sehen.
    Im Vergleich zu Beziehungen unter Nichtautisten haben wir vermutlich eine ungewöhnliche Art, unsere

Weitere Kostenlose Bücher