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Asperger - Leben in zwei Welten

Asperger - Leben in zwei Welten

Titel: Asperger - Leben in zwei Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Preißmann
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gibt es sehr selten.
    Vermutlich würde jeder Mensch, der in der Kommunikation mit anderen ständig auf negatives Feedback stößt und bei jeder Handlung kritisiert wird, irgendwann das Alleinsein bevorzugen.
    Nach vielen Frustrationen und Enttäuschungen bevorzugen viele Autisten irgendwann die Einsamkeit. Die Energiereserven für das »gegen Wände anlaufen« sind aufgebraucht. Dennoch sind Alleinsein und Einsamkeit auch für autistische Menschen, ebenso wie für vermutlich jeden anderen Menschen, schrecklich und deprimierend.
    Dass Autisten anders mit Gefühlen umgehen, bedeutet nicht, dass sie keine haben!
    Mir tut es weh, wenn ich in Fachartikeln über Autismus lesen muss, dass Autisten »sowieso keine Gefühle haben«, »nicht in der Lage sind, Stimmungen wahrzunehmen«, »nicht trauern oder lieben können«. Jeder, der mich kennt, kann Beispiele dafür nennen, warum dies nicht der Fall ist. Oft ist sogar das Gegenteil richtig, denn viele Autisten nehmen besonders gut Stimmungen in Gruppen auf und spüren, wenn beispielsweise schlechte Laune in der Luft liegt. Nur weil autistische Menschen mit der Wahrnehmung dieser Gefühle anders umgehenals Nichtautisten, heißt das nicht, dass es diese Wahrnehmung nicht gibt. Nur weil Autisten in angespannten Gefühlssituationen anders agieren und reagieren, heißt dies nicht, dass sie unsensibel sein wollen, obwohl es beim Gegenüber eventuell so ankommt.
    Obwohl ich als Autistin nicht über das intuitive Handwerkszeug der verbalen und nonverbalen Kommunikation verfüge, das in dieser Gesellschaft als normal gilt, wünsche ich mir in vielen Situationen nichts sehnlicher, als zu ahnen, wie man auf einen Nicht-Autisten reagieren soll, damit er sich getröstet fühlt. Leider kann ich dies nur auf meiner Kommunikationsebene intuitiv, und das hat nicht viel mit dem gesellschaftlich Erwünschten gemeinsam. Ich musste bitter lernen, dass mein Weggehen, wenn es meinem Gegenüber wahrnehmbar schlecht ging, nicht passend war. Da ich, wenn es mir nicht gut geht, meist meine Ruhe möchte, nahm ich fälschlicherweise an, dass auch andere dann allein gelassen werden wollen. Im Laufe vieler Jahre und vieler negativer Erlebnisse musste ich erkennen, dass in solchen Situationen oft eher ein mitfühlendes Gespräch oder aber ein gemeinsames Essen und Ähnliches für mein Gegenüber entlastend wirkten. Es fällt mir noch immer sehr schwer, dies zu erkennen und dann auch helfend zu handeln. Umgekehrt kann ich mittlerweile verstehen, dass es für viele schwierig ist, mich in offensichtlich belastenden Situationen alleine zu lassen.
    Nach dem Tod meiner Oma trauerte ich auf meine Art
    Da ich, wenn es mir nicht gut geht, meist meine Ruhe möchte, nahm ich fälschlicherweise an, dass auch andere dann allein gelassen werden wollen.
    Am Beispiel des Todes meiner Oma möchte ich beschreiben, wie sehr mich das Vorurteil der mangelnden Gefühle bei Autisten kränkt. Als ich erfuhr, dass meine Großmutter gestorben ist, wollte ich einfach alleine sein. Ich wollte kein Reden, keinen Körperkontakt, sondern meine Ruhe. Danach wollte ich normalen Alltag, ohne meine Oma und ihren Tod zum Thema zu machen. Mein Kopf dachte in der Zeit sehr viel nach, aber ich war nicht in der Lage, darüber zu sprechen. An der Beerdigung nahm ich sehr unbeteiligt teil, und danach ging mein Alltag äußerlich unverändert weiter. Ohne Besuche auf dem Friedhof, ohne Teilnahme an Gottesdiensten und ohne Gespräche mit meiner Familie über das, was passiert war. Nach außen hin sah es so aus, als ließe mich die Situation komplett kalt. Dies war für alle, die mich kannten, unerklärlich, denn ich war meiner Oma sehr nah, hatte viel mit ihr gemeinsam und habe sehr viel Zeit mit ihr verbracht. Umso unverständlicher war es für alle, dass ihr Tod mir scheinbar gleichgültig war.
    Ich weinte nicht, ich sprach nicht über die Vergangenheit, ich sprach nicht über die schrecklichen Umstände ihres Todes.
    Heute ist mir klar, warum dies für mein Umfeld so wirken musste, denn auf üblicher Wahrnehmungsebene zeigte ich nichts, was auf ein Mitfühlen hättehinweisen können. Ich weinte nicht, ich sprach nicht über die Vergangenheit, ich sprach nicht über die schrecklichen Umstände ihres Todes. Ich war nicht wütend, klagte niemanden an, suchte bei niemandem Trost. Die offiziellen

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