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Asperger - Leben in zwei Welten

Asperger - Leben in zwei Welten

Titel: Asperger - Leben in zwei Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Preißmann
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waren. Die äußeren Bedingungen schienen zu passen: solider Beruf, lange Partnerschaft, finanzielle Basis, Rückmeldung von Freunden, dass ich vermutlich eine gute Mutter wäre. Ich hatte das Gefühl, für die primäre Versorgung eines Babys alle Fähigkeiten zu besitzen, und genau dies war einer meiner sehnsüchtigsten Wünsche. Gleichzeitig kamen die Bedenken: Was ist, wenn das Kind älter wird? Dinge wie Kindergarten, Schule, Sportverein mit all dem zugehörigen organisatorischen und sozialen Drumherum. Ich hatte das Gefühl, hiermit überfordert zu sein. Dies war ein häufiges Thema bei Gesprächen und Diskussionen mit meinem Freund. Wir kamen nie zu einem Ergebnis, meine Zweifel blieben und wuchsen sogar mit den zunehmenden eigenen Problemen, die vor allem in meiner beruflichen Umgebung entstanden. Ich hatte immer mehr das Gefühl, dass es nicht gut ist, Kinder zu haben, wenn man selbst die Welt nicht versteht und sich ständig infrage stellt.
    Bis heute habe ich keine Antwort auf die Frage nach eigenen Kindern. Auf der einen Seite wünsche ich es mir sehr, Verantwortung für einen Menschen zu haben, der mir viel bedeutet, und meine Vorstellungen von Moral und Miteinander weitergeben zu können. Andererseits weiß ich, wie mühsam das Leben am Rande der Gesellschaft ist. Für mein Kind wäre es ein unnormales Leben, denn eine schwerbehinderte autistische Mutter zu haben, ist vermutlich auch in der nächsten Generation noch eine komplexe Herausforderung.
    Zusätzlich kommen seit der Autismusdiagnose bei mir und dem Verdacht auf einen dominanten Erbgang in unserer Familie weitere Bedenken hinzu. Jeder wünscht sich ein gesundes Kind. Ich auch. Aber käme ich mit einem nicht-autistischen Kind klar? Was wäre – auf der anderen Seite – wenn mein Kind auch Autist wäre? Vielleicht in schwererer Ausprägung als es bei mir der Fall ist (denn in unserer Familie scheint jede Generation etwas mehr autistische Eigenschaften zu haben). Es wäre vermutlich ein Vorteil für das Kind, dass ich seine Wahrnehmungs- und Kommunikationsebene besser nachvollziehen könnte. Wahrscheinlich wäre ich aber komplett überfordert. Auch musste ich mir bereits sagen lassen, dass ich »als Behinderte keine Kinder zu bekommen habe«, was in dieser Gesellschaft eine weit verbreitete Meinung zu sein scheint.
    Somit sind meine Gedanken zu diesem Thema hin und her gerissen. Ich weiß keine Antwort und die biologische Uhr tickt. Mein Freund ist zwölf Jahre älter als ich, sodass die Vernunft eigentlich die Familienplanung für erledigt ansehen sollte. Das Gefühl sagt mir oft etwas anderes. Wie das Ergebnis sein wird, wird die Zukunft zeigen.
    Viele Autisten sind einsam und allein
    Aus meiner Sicht ist es nicht wirklich der Wunsch der meisten Autisten, allein zu sein und nur wenig Kontakt zu anderen Menschen zu haben. Vielmehr scheint es das Resultat vieler negativer Erlebnisse, Frustrationen und Missverständnisse zu sein. Vermutlich würde jeder Mensch, der in der Kommunikation mit anderen ständig auf negatives Feedback stößt und bei jeder Handlung kritisiert wird, irgendwann das Alleinsein bevorzugen. Nicht, weil er wirklich allein sein möchte, sondern weil der Energieaufwand für das Schauspielern, um in einer Gruppe anerkannt zu werden, immens hoch ist. Die meisten Autisten unternehmen unendlich viele Anläufe, um dazuzugehören. Fast alle enden früher oder später in Missverständnissen, die durch die unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Kommunikationsebenen bedingt sind.
    Hinzu kommt, dass in vielen Umgebungen eine hohe Intensität zusätzlicher Reize besteht und hierdurch ein Miteinander für viele Autisten erschwert wird. Beispielsweise kann es sehr mühsam sein, einem Gespräch zu folgen, wenn nebenbei das Radio spielt. Somit sind auch die Rahmenbedingungen entscheidend, ob es zu einer Interaktion mit anderen kommen kann. Ich habe eine Freundin, die, wenn ich zu ihr komme oder mit ihr im Auto fahre, das Radio ausschaltet. Allerdings gehört dazu sehr viel Verständnis und Rücksichtnahme und ich bin ihr sehr dankbar für dieses Verhalten. Ich würde mich nur selten trauen, jemanden darum zu bitten, das Radio abzustellen, damit wir uns besser unterhalten können. Am interessantesten finde ich bei dieser Freundin, dass ich sie nie darum bitten muss. Sie tut es einfach – solche Freunde

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