Asperger - Leben in zwei Welten
und manchmal bedarf es dann auch eines zweiten Anlaufes.
Martin bezeichnet mich nicht nur als hilfsbereit, er betont auch mein liebenswertes Wesen, das unsere Partnerschaft für ihn so wertvoll mache.
Martin bezeichnet mich nicht nur als hilfsbereit, er betont auch mein liebenswertes Wesen, das unsere Partnerschaft für ihn so wertvoll mache. Auch findet er einige meiner Besonderheiten im Alltag durchaus praktisch. Ein Beispiel dafür ist mein Blick für das Detail. Diese Eigenschaft ist bezeichnend für viele Menschen mit Autismus und hat nichts mit einer besonderen Beschaffenheit der Augen oder einem auÃergewöhnlichen Sehvermögen zu tun. Mir fallen vielmehr einfach Gegebenheiten oder Gegenstände auf, die andere Leute nicht sofort bemerken, während mir das ganz Gewöhnliche, was jeder sieht, nicht unbedingt immer gleich ins Auge fällt.
Ich habe ein gutes Auge für Details
Das hat mitunter auch Vorteile beim Einkaufen. So habe ich zum Beispiel schon manchen guten Einkauf getätigt, weil mir in den für andere Leute eher unauffällig wirkenden Bereichen der Geschäftsräume Angebotsware auffiel, speziell im Textilbereich. So konnte ich schon manch ursprünglich teure Markenkleidung
zu wirklich günstigen Preisen erstehen. Eine Freundin berichtete, sie mache gerne mit mir Bekleidungseinkäufe, weil ich immer etwas Schönes und gleichzeitig Preiswertes für sie finde. Mein detailliertes Augenmerk war auch eine erhebliche Hilfe, als Martin und ich vor einigen Jahren umziehen wollten. Wir sahen uns mehrere Wohnungen an, und niemandem fielen die Mängel auf, die ich bemerkte. Immerhin hatten wir für die Wohnungsbesichtigungen extra noch einen fachkundigen Bekannten mitgenommen. Angefangen bei schlecht verfugten Fliesen in Badezimmer und Küche über unsachgemäà eingesetzte Fenster und Türen bis hin zu kleinen Defekten, die man zum Beispiel durch überklebte Tapetenreste zu vertuschen versuchte â all diese Fehler entdeckte ich in kurzer Zeit.
Meinen Beruf als Schriftsetzerin kann ich nicht mehr ausüben
Beruflich war ich einige Jahre als Schriftsetzerin in einem kleinen Druckereibetrieb tätig. Doch schlieÃlich stellte sich immer stärker heraus, dass ich mit diesem Berufsbild, das heute Mediengestalter genannt wird, überfordert war. Denn in den letzten Jahren wurden die Arbeitsbedingungen im Betrieb immerweniger vorhersehbar und erforderten eine deutlich höhere Flexibilität. Der EDV-Bereich und die Auftragslage veränderten sich kontinuierlich, wurden immer komplexer, es gab immer weniger Struktur, die für mich so wichtig war. Dennoch konnte ich die Aufgaben in der Druckerei noch einige Jahre erfüllen, was ich vor allem einem langjährigen Vorgesetzten verdanke, der stets bemüht war, mich nach Kräften zu unterstützen. SchlieÃlich aber führten weitreichende innerbetriebliche Veränderungen zu einer deutlichen Verschlechterung meiner Arbeitsfähigkeit, sodass mein Arzt die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses für unumgänglich hielt und diese MaÃnahme in die Wege leitete.
Martin tat der Verlust meines Arbeitsplatzes sehr leid. Er wusste natürlich, dass dies nicht auf menschliches Versagen zurückzuführen war, weder auf das aller im Betrieb beschäftigten Mitarbeiter, noch auf mein eigenes, sondern dass die geschilderten Gesamtumstände zu dieser unausweichlichen MaÃnahme geführt hatten. Aber auch Martin war der Ansicht, dass es für mich die beste Lösung war, nicht mehr im normalen Arbeitsprozess bestehen zu müssen, der mich wirklich deutlich überforderte. Denn immer öfter erfuhr er abends durch meine Erzählungen, wie sehr der Arbeitsalltag für mich zur zunehmenden Belastung wurde. Da mir das Thema wichtig war, nahm es immer mehr Raum in unserer Beziehung ein, bis schlieÃlich auch Martins eigene Belastungsgrenze erreicht war.
Die gegenwärtigen Bedingungen am Arbeitsplatz, die eine hohe Flexibilität erfordern, über die wir leider nicht verfügen, machen es für Menschen wie uns immer schwerer, den heutigen Anforderungen der Arbeitswelt umfassend gerecht zu werden. Es dauerte jedoch einige Zeit, bis ich diese Tatsache einigermaÃen verarbeitet hatte. Auch dabei war Martin mir wieder eine groÃe emotionale Hilfe. Er verdeutlichte mir, dass der Wert eines Menschen nicht von dessen Leistungsfähigkeit abhängt.
Im Autismuszentrum
Weitere Kostenlose Bücher