Assassine - Hüterin des Drachenbaums (German Edition)
weit sehen konnte, aber das war ihr nur recht. Der Schnee lag gut einen halben Schritt hoch und sie machte sich Gedanken, ob sie das Kleid heil durch dieses Chaos bringen konnte. Doch dann geschah etwas Unerwartetes: Sie betrat den Hinterhof und dachte, der Schnee würde ihr das Gehen schwer machen, sie vermisste auch das Knirschen, das Schritte normalerweise auf dem Firn verursachten. Sie sah an sich hinab und bemerkte, wie die weiße Pracht vor ihr zurückwich, egal wohin sie sich wandte. Es war fast so, als würde der Schnee nicht wagen, dieses edle Kleid zu berühren, und auch die Kälte machte ihr wegen des magischen Stoffes nichts aus. Mit einem Lächeln zog sie den Umhang enger um sich und festen Schrittes machte sie sich auf zum Sitz des Fürsten.
Dabei hing sie ihren Gedanken nach. Es tauchten Sai und der Baron vor ihrem geistigen Auge auf. Sie fragte sich, ob es ihnen gut ging und ob die Schlacht um die Elfenheimat ein Erfolg war oder noch andauerte. Auch ging ihr durch den Kopf, ob Mirx den Baron bereits hatte warnen können und wo das menschliche Heer steckte, das den Rubinhorst bedrohte. Schon wieder so viele Fragen. Ihr schwirrte der Kopf. Aber sie musste sich nun auf das Wesentliche konzentrieren, denn sie konnte die hohe Mauer und das riesige Hauptportal von Anzbachers Sitz bereits im Schneesturm erkennen. Ab diesem Zeitpunkt verbot sie sich jegliche Fehler und Gedanken an etwas anderes außer ihrem Auftrag. Sie straffte sich, hielt auf das Wachhaus vor dem Tor zu und hämmerte an die Tür. Nach einem »Wer da?«, was eher wie ein Brüllen als nach einer Frage klang, öffnete Ari mit hoch erhobenem Haupt und der ganzen Arroganz, die ihr möglich war, die Türe.
»Was ist das hier für ein Saustall?«, schrie sie in den vom offenen Feuer verqualmten Raum. Vier Wachsoldaten mit deutlichen Spuren der Seuche lungerten um einen wackligen Holztisch herum. Sie zechten und spielten Karten. »Wer von euch Tölpeln ist hier der wachhabende Offizier? Ich bin die Gräfin vom Winterstein zu Eisfeld und erwarte, dass man mir den gebührenden Respekt zollt!« Fast hätte sie gelächelt ob des idiotischen Namens, den sie sich gerade gegeben hatte, aber sie behielt die Fassung, denn ihre Maskerade funktionierte. Ein Soldat fiel vor Schreck von seinem Stuhl, ein anderer prustete seinen Schnaps in die Gegend, seinem Gegenüber ins Gesicht und über die fleckige Uniform. Die beiden anderen sprangen so schnell auf, dass sie den Tisch gleich mit umrissen.
Ari stolzierte in dem kleinen, muffigen Raum herum und sah die vier Gestalten mit angewidertem Blick und gerümpfter Nase von oben herab an. »Meiner Schlittenkutsche ist eine Kufe gebrochen und ich verlange, dass ihr Trottel mich sofort zu eurem Fürsten bringt, dort werde ich mir dann überlegen,ob ich mir lieber eure Schweinsköpfe in einem schönen Weidenkorb wünsche oder doch lieber eine schöne Decke aus euren Häuten!«
Der größte von den Soldaten trat vor und stand stramm. An seinem Hals war eine riesige Wucherung zu erkennen, die ihm bis auf die Schulter hing. Ari hätte vor Entsetzen fast laut losgeschrien, als sich in diesem Fleischbeutel ein Auge öffnete, das wild hin und her rollte. Sie riss sich zusammen und ließ sich nichts anmerken, sonst wäre das Spiel schneller vorbei, als sie es sich wünschte. Der Soldat war ungepflegt und roch nach Verwesung. Das Auge in dem Geschwür rollte nun auffällig nach unten und starrte in ihr Dekolleté.
Aber es klatschte und der Wachhabende taumelte zurück. Aris Ohrfeige hatte gesessen und die linke Backe schwoll merklich an. Der Enrai gefiel dieses Spiel langsam und sie legte nun alle Hemmungen ab. »Was fällt dir mickrigem Mehlwurm ein, so offensichtlich auf Sachen zu starren, die du nicht einmal im Ansatz wert bist, überhaupt von Weitem zu betrachten? Noch einmal so ein Ausrutscher und ich werde mir aus deinem Oberschenkelknochen einen eleganten Rückenkratzer schnitzen lassen!«
Der Soldat stotterte los und rieb sich dabei seine brennende Backe, den Blick jetzt immer auf den Boden gerichtet. »Es tut mir leid, Herrin, aber dieses Auge hat ein Eigenleben. Ich kann es nicht kontrollieren. Es gehört auch nicht mir, sondern dem anderen, der in mir wohnt.« Er verbeugte sich tief. Das Auge aber beobachtete Ari ständig und sie konnte Hass und eine perverse Belustigung darin erkennen.
»Nun ja, egal – ihr und euresgleichen seid eben nun mal Bauern und wisst es nicht anders. Sollte es noch einmal geschehen,
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