Assassini
Augen des Bischofs hatte D’Ambrizzi sich wie ein bösartiger Einzelgänger verhalten; Torricelli hielt ihn für einen ungestümen Hitzkopf, der sich eher von moralischen Erwägungen leiten ließ, als sich mit der Realität abzufinden; er spürte deutlich, daß D’Ambrizzi es riskierte, den Zorn der Deutschen heraufzubeschwören, die dann möglicherweise über die Kirche in Frankreich herfielen, vielleicht über die Kirche in ganz Europa. Torricelli hatte seine Befürchtungen Papst Pius sogar schriftlich mitgeteilt, und der Papst hatte in scharfem Tonfall erwidert, daß der Bischof besser daran täte, dafür zu sorgen, daß weder D’Ambrizzi noch sonst ein Kirchenmann der Resistance auf irgendeine Weise helfe. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß Pius diese unausgesprochene Drohung sehr, sehr ernst gemeint hatte. Meine Schwester mußte begeistert gewesen sein, als sie auf diese außergewöhnlichen historischen Quellen gestoßen war.
Es gab einige Hinweise auf Richter, auf die Familie LeBecq, auf Kunstschätze und die Frage, wohin sie verschoben werden sollten. Richter war offenbar in das miese Geschäft verwickelt gewesen, sowohl Kunstgegenstände enteigneter Juden für Görings Privatsammlung zu erstehen als auch bestimmte Werke an die Kirche zu verkaufen. Diese Entdeckungen waren offensichtlich der Grund für Vals Entschluß gewesen, nach Alexandria zu reisen. Torricelli erwähnte außerdem einen gewissen ›Collector‹, der von Rom geschickt worden war, um aus den zusammengeraubten Schätzen diejenigen auszuwählen, die dann von der Kirche angekauft wurden. Wer, fragte ich mich, war dieser Collector? Eine Frage mehr auf meiner Liste.
Und es gab quälende Hinweise auf Simon. Etienne LeBecq hatte panische Angst gehabt, Simon könnte mich aus Rom geschickt haben, um ihn zu töten – eine solche Angst, daß er schließlich die Flucht ergriffen und Selbstmord begangen hatte. Simon, einer der Decknamen. Und hier tauchte er wieder auf. Simon dies, Simon das. Allerdings nur in den Jahren 1943 und 1944. Ende August 1944 war Paris von den Alliierten befreit worden; das Leben hatte sich geändert; die Deutschen waren wieder verschwunden.
Ich hatte meine liebe Not, jene Hinweise zu übersetzen, die Simon betrafen. Da war zum einen das Sprachproblem und zum anderen Torricellis schlechte Handschrift, die besonders immer dann zum reinsten Gekrakel wurde, wenn er sich über Simon ausließ, als hätte schon dieser Name ihn nervös gemacht. Jedenfalls ging aus den Hinweisen hervor, daß im Winter 1944/45, als die Ardennenschlacht tobte, Torricelli offenbar am Rande des Zusammenbruchs stand, nachdem er ›eine Verschwörung‹ entdeckt hatte, die ›so verabscheuenswürdig ist, daß mir nichts anderes übrigbleibt, als Archduke zu einem geheimen Treffen zu bitten. Nur er kann Simon unter Kontrolle halten! Was kann ich anderes tun? Vielleicht bringt er mich um, wenn ich etwas gegen ihn unternehme. Ich kann Archduke davon berichten und beten, daß er es aufhalten kann. Wird Simon auf ihn hören? Ich kann es nicht wagen, auch nur noch ein einziges Wort über diese Sache zu Papier zu bringen. Wie immer meine politischen Überzeugungen sein mögen – und habe ich in einer Welt wie dieser überhaupt noch politische Überzeugungen? –, ich kann nicht billigen, was Simon beabsichtigt. Was wird Archduke sagen? Und Simon – ist er ein guter oder ein schlechter Mensch? Was ist, wenn Archduke hinter dieser Sache steckt und Simon nur sein Werkzeug ist? Wird Archduke sich gegen mich wenden, wenn ich mich gegen Simon wende? Aber ich muß es tun, oder das Blut unseres Opfers wird auch an meinen Händen kleben!‹
An diesem Abend ging ich allein aus und aß in einer kleinen Pizzeria. Die Pizza, mit zwei Spiegeleiern und Anchovis in einer dünnen Schicht Olivenöl auf Tomatensoße mit Knoblauch und Oregano, schmeckte gut. Ich versuchte, mich auf das Essen zu konzentrieren, denn die Alternative bestand nur darin, sich dem brutalen Konflikt zwischen Verstand und Information zu stellen. Natürlich war ich in meinem Beruf als Anwalt oftmals auf ähnliche Schwierigkeiten gestoßen. Einmal war ein Klient in meine Kanzlei marschiert und hatte mir eine Tonne von Schriftstücken auf den Schreibtisch gekippt – von den eidesstattlichen Erklärungen des Vortages bis hin zu fünfundsiebzig Jahre alten Vorgängen. Die Aufgabe besteht in einem Falle wie diesem darin, die nackten Fakten in eine solche Form zu bringen, daß man sie verarbeiten,
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