Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
Vom Netzwerk:
einer der letzten, die meine Schwester vor ihrem Tod getroffen hat.«
    »Ein Unglücksbote also.«
    »Was hat er vom Vikar gewollt?«
    Wieder zuckte Paternoster die Achseln. »Er ist eines Tages ganz plötzlich aufgetaucht. Robbie und ich standen hier draußen vor dem Tabbycats. Muß an irgendeinem Morgen in der letzten Woche gewesen sein. Verdammt noch mal, es war am Tag, bevor Robbie ermordet wurde! Genau! Also, dieser Priester mit dem Silberhaar stand ganz plötzlich da – es war richtig unheimlich. Dann hat er sich dem Vikar vorgestellt; er hat seinen Namen genannt, warten Sie mal … August Horstmann, glaub’ ich. Ja, genau, August Horstmann. Und der Vikar guckt auf einmal so überrascht aus der Wäsche, als würde ein Gespenst vor ihm stehen. Und dann hat er was Komisches gesagt. Er sagte: ›Ich werd’ verrückt, August! Ich hab’ gedacht, du bist seit vierzig Jahren tot!‹ Und dann hat er mich diesem Priester vorgestellt, und ich hab’ mich wieder an die Arbeit gemacht, und die beiden sind zusammen abmarschiert: zwei alte Kameraden.«
    »Alte Kameraden?« wiederholte ich.
    »Am Abend habe ich ihn nach diesem Burschen gefragt, aber der Vikar hatte nicht viel über ihn zu sagen. Soviel ich mitbekommen habe, hat Robbie Father Horstmann während des Krieges gekannt …«
    »In Paris«, sagte ich leise. »Während des Krieges.«
    Und am nächsten Tag war der Vikar tot. Vier Tage war das jetzt her.
    Ich hatte das Gefühl, daß Clive Paternoster nur mit sehr viel Glück davongekommen war.
    Und August Horstmann hatte gewußt, daß mein Weg mich zu Robbie Heywood führen würde.
    Nach einer weiteren höllischen Nacht – höllisch deshalb, weil ich die Furcht jetzt einfach nicht mehr abschütteln konnte – war es geradezu eine Erleichterung, nach dem Erwachen das trübe graue Tageslicht über dem belebten Boulevard Saint-Germain durch das Fenster meines Hotelzimmers zu sehen. Zwei Schwalben saßen auf dem Geländer des Balkons und beäugten mich. Ich war müde, und die innere Spannung, die von der Angst herrührte, von August Horstmann beobachtet zu werden, hatte die Schmerzen im Rücken, diese glühenden Nadelstiche, wieder verstärkt. Doch wach und auf den Beinen zu sein war immer noch besser, als sich mit Alpträumen im Bett herumzuwälzen.
    Am späten Vormittag befand ich mich etwa zehn Gehminuten von meinem Hotel entfernt und drückte auf einen Klingelknopf neben einer alten, verzogenen hölzernen Tür mit Scharnieren so groß und schwer wie Anker. Links und rechts von ihr erstreckten sich hohe, lange Mauern, welche die Sicht auf das dahinter liegende Haus versperrten. Nachdem ich fünf Minuten gewartet hatte, schellte ich noch einmal. Ein alter Hausmeister, der wie aus dem siebzehnten Jahrhundert entsprungen wirkte, öffnete die Tür. Sie mußte geölt werden. Der Tag war grau und diesig. Der Putz an den Mauern war mit feuchten Flecken gesprenkelt. Der nasse Kies auf dem Hof knirschte unter den Sohlen und erinnerte mich an den kleinen Friedhof in Clichy am gestrigen Tag. Der Hausmeister knallte die Tür zu, spuckte aus, wischte sich über seinen Schnauzer und wies auf das Gebäude. Dann schlurfte er mit hochgezogenen Schultern davon, eine Harke in der Hand, und als ich den Blick von ihm wandte und hinüber zum dunklen Türeingang schaute, sah ich dort einen Mann in einer purpurnen Samtjacke stehen, der auf mich zu warten schien.
    Philippe Tramonte sah aus wie eine Illustration von Aubrey Beardsley: dünn, blaß, hochgewachsen; zu seiner purpurnen Jacke trug er eine perlgraue Hose mit Bügelfalten, die mit einem Lineal gezogen zu sein schienen, und schwarze Slipper mit Troddeln. Die ausgeprägte Hakennase erinnerte an seinen Onkel, den Bischof. An seinem kleinen Finger steckte ein riesiger Ring mit einem goldgefaßten Amethysten – wie eine stumme Aufforderung an jeden Fremden, das Ding zu küssen. Seine Stimme war hoch und dünn, sein Englisch passabel, aber von einem starken Akzent gefärbt, und seine Seufzer – ungeheuer, ausdrucksvoll, überwältigend – begleiteten uns auf dem Weg bis zum Archiv wie Hintergrundmusik von Maurice Jarre. Er wollte mir zu verstehen geben, daß seine Aufgabe als Archivar eine sehr strapaziöse und verantwortungsvolle war. Ich hatte Verständnis dafür. Wir alle haben ja unser Bündel zu tragen.
    Er führte mich durch einen langen Flur in ein Zimmer, das einst ein sehr nobler Salon gewesen sein mußte, sich jetzt aber in einem fortgeschrittenen Stadium des Verfalls

Weitere Kostenlose Bücher