Assassini
ordnen, formen kann, um schließlich ein Bild zu bekommen, das einen Sinn ergibt. Man muß das Unwichtige über Bord werfen und dann Tage, Wochen, Monate nach Informationen Ausschau halten, bis sich die ersten Andeutungen zeigen, die ersten Hinweise zur Erstellung eines Gesamtbildes. Nur ein Hinweis, und man kann die Sache anpacken. Ein einziger Hinweis.
Nun, ich hatte jetzt eine Menge Hinweise. Und eine Menge von Informationen, die kurz vor jener Grenze standen, hinter der sie Gestalt annehmen konnten.
Also war es an der Zeit, sich eine Pizza und jede Menge Fischer-Bier zu gönnen, einen Spaziergang entlang des Zaunes zu machen, hinter dem sich der Jardin du Luxembourg befand, und sich vom Novemberregen berieseln zu lassen. Es war an der Zeit, einmal nicht über all das nachzudenken, was ich in Erfahrung gebracht hatte. Es war an der Zeit, ein wenig abzuwarten, bis sich der erste Bodensatz gebildet hatte.
Später an diesem Abend änderte sich meine Stimmung. Ich war sicher, daß August Horstmann mir folgte und nur auf die günstigste Gelegenheit wartete, mich zu töten. Ich tat schließlich genau das, was auch Val getan hatte. Und er hatte sie ermordet. Er hatte Robbie Heywood ermordet, als er festgestellt hatte, daß ich entschlossen war, Vals Weg weiter zurückzuverfolgen, ein Weg, der auch bei Heywood vorbeigeführt hatte. Ich war sicher, daß ich auf Horstmanns Abschußliste stand.
Aber vielleicht war er zu der Überzeugung gelangt, daß mit der Beseitigung des Vikars der Fall abgeschlossen war, daß Vals Fährte endete. Vielleicht war ich in Sicherheit. Vielleicht hatte er nicht damit gerechnet, daß Clive Paternoster so viel wußte …
Aber wieso, in Gottes Namen, hatte Paternoster den Vikar und Horstmann als alte Kameraden bezeichnet?
Ich rief meinen Vater im Krankenhaus in Princeton an.
Seine Stimme war schwach, aber klar und deutlich. Er wollte wissen, wo ich mich aufhielt, was ich tat, mit wem ich mich getroffen hatte. Ich sagte ihm, daß ich Vals Fußstapfen folgte, daß ich einige Leute aufgesucht hatte, die aus dem Paris des Zweiten Weltkriegs übrig geblieben waren: Richter, LeBecq, Clive Paternoster und den unsäglichen Torricelli-Neffen, der die letzte Erinnerung an den Bischof verkörperte. Ich erzählte ihm, daß Robbie Heywood von demselben Mann ermordet worden war, der auch Val, Lockhardt und Heffernan auf dem Gewissen hatte – jemand mit Namen August Horstmann, ein Priester, den der Vikar von früher gekannt haben mußte.
Mein Vater sagte leise und traurig: »Oh, nicht Robbie … nicht den Vikar … Gottverdammt …«
»Hör mal, du warst doch während der deutschen Besatzung auch mehrfach in Paris. Hast du jemals diese Decknamen gehört?« Ich erzählte ihm von Simon und Archduke. Daß auch mein Vater eine Informationsquelle war, wurde mir erst jetzt so recht bewußt. Er war ja nur immer so verschlossen gewesen, was seine Dienstzeit bei der OSS betraf. Aber vielleicht konnte er sich an irgend etwas erinnern und rückte mit der Sprache heraus.
Aber erst einmal stieß er ein scharfes Lachen aus, das in einen Hustenanfall überging. »Benjamin, ich kann mich praktisch nur an eins erinnern. Daß ich Angst hatte, von irgendeinem schießwütigen Boche eine Kugel verpaßt zu bekommen. Daß ich Angst hatte, einen Fehler zu machen und meine Zyanidkapsel schlucken zu müssen, bevor die Gestapo mich in die Mangel nehmen konnte. Ich will dir mal was sagen. Torricelli hatte sicher recht, wenn er behauptet, D’Ambrizzi habe mit der Resistance zusammengearbeitet. Es hat Torricelli fast um den Verstand gebracht. Aber mit diesen Geschichten hatte ich nichts am Hut, ich habe nur davon gehört. Und ich habe D’Ambrizzi wegen meiner Kontakte zur Resistance kennengelernt. Ich hatte nur eine Aufgabe: immer wieder nach Paris hereinzukommen – meistens durch Fallschirmabsprünge, manchmal auf dem Landweg, nachdem ein Fischerboot mich an der bretonischen Küste abgesetzt hatte. Dann habe ich meinen jeweiligen Job getan und versucht, heil aus Paris herauszukommen und lebend über die Grenze in die Schweiz zu gelangen …«
»Ich kann mich an den Film erinnern«, sagte ich.
»Film!« Er hustete erneut. »Komm nach Hause, Sohn. Bitte, Ben, dein Leben ist in Gefahr, was immer sich da abspielen mag …«
»Ich werde vorsichtig sein.«
»Vorsichtig«, sagte er verächtlich. »Begreifst du denn nicht? Deine Vorsicht ist keinen Pfifferling wert!« Er bekam erneut einen längeren Hustenanfall. Dann hörte ich
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