Assassini
glitt heran, griff ihr von hinten unter die Arme und stellte sie in einer glatten, fließenden Bewegung auf die Beine, ohne im Laufen innezuhalten. Er sah den Ausdruck der Verblüffung auf ihrem Gesicht, als er wie ein mächtiger schwarzer Rabe an ihr vorüberhuschte. Dann legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen, und sie rief ihm ein Dankeschön hinterher. Er nickte ihr ernst über die Schulter zu.
Kurz darauf blickte er auf die Uhr. Er verließ die Eisfläche, gab die geliehenen Schlittschuhe zurück und ließ sich an der Gepäckaufbewahrung seine Aktentasche aushändigen. Sein Atem ging schwer, doch er fühlte sich entspannt und gelöst.
Er stieg die Treppe hinauf, die aus dem Eisstadion führte. Er kaufte sich eine heiße Brezel, strich ein bißchen Senf darauf und aß sie im Stehen, langsam und methodisch; dann warf er die Papierserviette in einen Mülleimer. Er ging die Ladenzeile zur Fifth Avenue entlang, überquerte die Straße, hielt inne und blickte zur St. Patrick’s Cathedral auf. Er war kein sentimentaler Mensch, aber der Anblick großer Kirchenbauten – insbesondere einer vergleichsweise jungen Kirche wie dieser – bewegte unweigerlich etwas in ihm. Er hatte gehofft, noch die Zeit zu finden, in St. Patrick’s ein Gebet zu sprechen, aber das Schlittschuhlaufen hatte zu viel Zeit in Anspruch genommen; außerdem konnte er in seinem Herzen beten.
Er war von weither gekommen, um seine Verabredung einzuhalten.
Es war Zeit, sich auf den Weg zu machen.
Rom
Der Mann im Bett schaute dem Fußballspiel nicht zu, das auf dem Bildschirm des Fernsehers flimmerte. Einer seiner Sekretäre hatte eine Kassette mit der Aufzeichnung des Spiels in den Videorecorder eingeschoben, das Gerät eingeschaltet und sich zurückgezogen, aber der Mann im Bett hatte in letzter Zeit das Interesse am Fußball verloren. Wenn er überhaupt einmal daran dachte, dann in Form verblaßter Erinnerungen an Spiele, für die er sich als junger Bursche vor vielen, vielen Jahren in Turin begeistert hatte. Was die Aufzeichnung auf der Kassette betraf, die erst vor kurzem per Kurier aus Sao Paulo geschickt worden war – sie interessierte ihn einen feuchten Kehricht. Der Weltpokal der Vereinsmannschaften spielte in seinen Plänen weiß Gott keine Rolle mehr.
Der Mann im Bett dachte an seinen baldigen Tod – aber mit jener Fähigkeit zur Distanz und Objektivität, die ihm sein Leben lang so dienlich gewesen war. Als junger Mann hatte er es gar soweit gebracht, von sich selbst in der dritten Person denken zu können: als Salvatore di Mona. Ein Teil seines Ichs hatte damals, gewissermaßen als außenstehender Beobachter, mit erstauntem Lächeln Salvatore di Monas ehrgeizigen, unaufhaltsamen Aufstieg in der kirchlichen Rangordnung verfolgt, hatte anerkennend genickt, als Salvatore di Mona Bündnisse mit mächtigen Männern aus Politik und Wirtschaft geschmiedet hatte, und war Zeuge gewesen, wie Salvatore di Mona schließlich den höchsten Gipfel der kirchlichen Hierarchie erklommen hatte, damals, als Salvatore di Monas Existenz gewissermaßen erlosch: Als er den Namen Calixtus angenommen hatte und Oberhirte der katholischen Kirche geworden war, Statthalter Christi auf Erden, der Heilige Vater – Papst Calixtus IV.
Acht Jahre war er nun schon Oberhaupt der Christenheit. Er war weder ein sonderlich genügsamer Mensch noch ein durchgeistigter Theologe, aber er war ein außerordentlich geschickter Praktiker, der zudem immer eine glückliche Hand bewiesen hatte. Für den übertriebenen, pompösen Hokuspokus, der mit seinem hohen Amt einherging, hatte er nicht viel übrig; seine Karriere hatte er schon immer wie die eines erfolgreichen Managers betrachtet, der zum Aufsichtsratsvorsitzenden eines multinationalen Konzerns aufgestiegen war.
Natürlich entsprach es den Tatsachen, daß auf dem Planeten Erde nur der Kaiser von Japan ein älteres Amt innehatte als er selbst, und Calixtus war sich seiner päpstlichen Würde durchaus bewußt, aber er hatte zum Beispiel nie daran geglaubt, daß Gott wahrhaftig und buchstäblich seinem Willen durch die Worte, Schriften und Taten jenes Mannes Ausdruck verlieh, der einst Sal di Mona gewesen war, ältester Sohn eines wohlhabenden Turiner Fiat-Händlers. Nein, Mystizismus war ›nicht seine Tasse Tee‹, wie Monsignore Knox es einmal auf seine charmante englische Art ausgedrückt hatte.
Calixtus IV. war ein praktischer Mann, kein Mann der verwickelten Intrigen. Dafür zu sorgen, vom Konklave der Kardinäle zum
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