Assassini
Skimütze, als würde er Gefahr laufen zu ersticken.
Ich kniete neben ihm nieder und drehte ihn auf den Rücken.
Die vordere Seite seines weißen Parkas war blutdurchtränkt. Dicht über der Hüfte sah ich ein sauberes kleines Einschußloch, und als ich ihn wieder auf den Bauch wälzte, sah ich das große zerfaserte Loch, wo die Kugel ausgetreten war. Es blutete schrecklich. Das Geräusch, das mein Vater und ich gehört hatten, war kein vom Sturm abgebrochener Ast gewesen.
Der Mann zerrte immer noch an seiner Skimütze. In den Parka und die Mütze hatten sich Dutzende Glassplitter gebohrt. Er hustete und versuchte, etwas zu sagen.
Ich half ihm, die Mütze abzustreifen, zog sie ihm über den Kopf. Sein Gesicht war zerkratzt und blutüberströmt. Es war Artie Dunn.
Er blickte zu mir auf, leckte sich Blut von den Lippen.
»Was für ein Scheißtag«, flüsterte er. Seine Brust bebte leicht, als er kicherte. »Der Mistkerl … hat auf mich geschossen. Auf mich! … Ich habe versucht, Sie zu beschützen … Ich wußte, daß er hinter Ihrem Vater her war … Er ist hier …«
»Sie wußten es?«
»Ich wußte, daß Summerhays nicht Archduke ist, um Himmels willen … wußte, daß Ihr Vater es ist, er mußte es sein, und ich wußte, daß Sie niemals dahinterkommen würden … o Gott, tut das weh … tut mir leid, das mit dem Fenster … ich mußte Sie warnen …« Seine sonst so wachen Augen waren glasig. Er blickte sich um, bewegte langsam den Kopf; es fiel ihm unendlich schwer. »Ihr Vater sieht nicht besonders gut aus … und Sie brauchen jetzt einen Beschützer, Ben, in Gottes Namen.« Er hustete, leckte sich wieder die blutigen Lippen. Sein Speichel war hellrot. Vielleicht lag es an den Schnittwunden an Mund und Lippen. »Hab’ mich schon besser gefühlt … Hören Sie zu – er ist hier. Er ist zurückgekommen, und er ist da draußen … Ich wußte, er würde kommen, ich habe gewartet, ihn gesehen …« Er schwitzte. Ich hatte ihm den Arm um die Schultern gelegt, hielt ihn fest und stützte seinen Kopf. Seine Kraft ließ immer schneller nach.
Mein Vater saß vor dem Kamin, die Hände vors Gesicht geschlagen, und wischte sich immer wieder über die Augen, schmierte sich das Blut von den Händen über Stirn, Wangen, Schläfen. Das bißchen Haut, das ich noch sehen konnte, war grau wie nasser Zement. »Was sagt er? Sagst du mir, was er da redet? Wer ist er? Woher ist er gekommen?«
Eine Stimme erklang in meinem Rücken; eine Stimme, die ich erst zweimal gehört hatte. Ich hatte sie auf dem zugefrorenen Teich hinter unserem Haus in Princeton vernommen und dann wieder in der kleinen Kirche in Avignon, als er mir gesagt hatte, ich solle nach Hause gehen. Jetzt wußte ich, warum er mich nicht getötet hatte, als er die Gelegenheit dazu besaß. Weil mein Vater vom Krankenbett in Princeton aus Sandanato gedroht hatte – Sandanato, der sich als Simon ausgegeben hatte. Nur mich hatte mein Vater übriggelassen.
Ich wandte mich um und blickte auf, in die unergründlichen Augen von August Horstmann. Er trug einen langen schwarzen Mantel und einen schwarzen Filzhut mit einer nach unten gebogenen Krempe. Seine Augen starrten mich hinter den runden Gläsern seiner Brille an. Um den Hals hatte er sich einen scharlachroten Schal geschlungen. Auf Hut und Mantel glitzerten Schneeflocken.
»Du willst wissen, was er sagt, Archduke? Er sagt, ich bin deinetwegen gekommen. Du wußtest, daß ich kommen mußte.« Er stand genau vor dem riesigen Bären. Es sah aus, als würde das Raubtier ihn jeden Moment von hinten anfallen, ohne daß er sich der Gefahr bewußt war. Der Bär schien die Vorderpranken auszustrecken, um Horstmann in seine tödliche Umarmung zu nehmen.
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch er hob die Hand. Die freie Hand. In der anderen hielt er eine 9mm Walther. »Ich bin nicht wegen Ihnen gekommen«, sagte er ruhig. Seine Augen ruhten immer noch auf meinem Gesicht. Ich sah, wie sich das Licht der bunten elektrischen Kerzen in seinen Brillengläsern spiegelte. Dann drehte er sich zu meinem Vater um. Ich spürte, wie Father Dunn sich langsam hinter mir bewegte. Er hustete leise. Horstmann sagte: »Die Zeit ist gekommen, Archduke. Daß ein Judas seinen Lohn erhält, ist so unausweichlich wie der Tod. Eines Judas Lohn ist der Tod.« Mein Vater starrte ihn mit einem ungläubigen Ausdruck an, der sich dann langsam in eine Art Trance verwandelte. »Du hast Simon verraten. Du trägst die Schuld daran, daß viele
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