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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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der Tür inne, bevor er das Zimmer verließ. »Sollte Ihnen das passieren, werden Sie sich wie ein richtiges Arschloch vorkommen. Merken Sie sich meine Worte.«
    Ich stürzte mich mit der mir eigenen Entschlossenheit in die Kasteiung des Fleisches. Die Kette erwies sich als ein äußerst widerliches Objekt. Man legte sich das Ding um den Oberschenkel, zog es straff und riß sich dabei die Haare aus der Haut. Die Zacken stachen ins Fleisch, und dann ließ man die Verschlüsse zuschnappen. Das alles geschah, ohne daß man die Beine bewegte, und darum war es gar nicht so schlimm. Aber wenn man dann die ersten Schritte tat und die Muskeln sich spannten, fraßen sich die scharfen Zacken wie eine Säge ins Fleisch.
    Novize McDonald hielt die ganze Sache für irrsinnig, rasierte sich die Haare von den Oberschenkeln und befestigte die Kette, die er übrigens locker ließ, mit Klebeband. Für alle anderen war das Thema Kette tabu. Man redete einfach nicht darüber. Es war ein Kampf, den jeder allein ausfechten mußte, so gut er eben konnte.
    Am schlimmsten waren die Schmerzen, wenn man sich hinsetzen mußte. Bei der heiligen Messe. Beim Frühstück. Beim Unterricht. Wenn die Schenkel sich unter dem Körpergewicht dehnten und die Sägezähne blutige Furchen zogen. Alles für die gute Sache. Mein Vater wäre stolz auf mich gewesen. Ad Majorem Dei Gloriam. Du lieber Himmel. Die Gesellschaft Jesu. Der heilige Ignatius von Loyola. Sanctus Pater Noster. Gehorche und diene. Aber ich wollte über alles erhaben sein. Wollte es schaffen. Verdammt sollte ich sein, wenn ich es nicht schaffte.
    Wir waren beim Schwimmen, als Vinnie Halloran mich ansprach. »He, Ben, sieh dir mal dein Bein an. Wirf mal ’nen Blick drauf.« Ich weigerte mich. Ich hatte den Anblick schon mehrere Wochen ertragen müssen. »Du solltest das lieber behandeln lassen, Mann. Ehrlich, was du da machst, ist nicht richtig. Rohes Fleisch. Und die Wunden sind entzündet und eitern ja schon. Sieh dir mein Bein an. Nur kleine rote Stiche. Weißt du, daß McDonald sich sogar Wundmale auf den Schenkel pinselt? Im Ernst! Aber dir läuft ja schon der Eiter raus. Du holst dir noch ’ne Infektion!« Vinnie schauderte.
    Aber ich wollte nicht aufgeben. Nicht wegen einer beschissenen jesuitischen Kette. Nicht Ben Driskill. So dachte ich damals.
    Aus der Entzündung entwickelte sich ein Wundbrand. Schließlich fand Bruder Fulton mich bewußtlos auf der Toilette, inmitten einer Pfütze meines eigenen Erbrochenen. Die Ärzte im St.-Ignatius-Krankenhaus retteten das betroffene Bein, und ich war heilfroh darüber. Meinem Vater von einer Beinamputation berichten zu müssen wäre Mord gewesen. Und ich wollte mit dem Schmerz leben, der hin und wieder im Bein aufloderte.
    Aber das Wichtigste und Schönste an der ganzen Sache war, daß ich nicht aufgegeben hatte. Manchmal verlor ich zwar einen Kampf, wie es jedem von uns schon mal passiert. Aber nicht die Schlacht. Ich ließ mich niemals unterkriegen. Niemals. Nicht mal von den Jesuiten. Nicht mal von meinem Vater.
    Als ich erwachte, sah ich schummriges, trübes graues Licht draußen vor dem Fenster, und in meinem Schlafzimmer war die Luft so kalt, daß mein Atem Wölkchen bildete. Trockener Schnee fegte über den Fenstersims, wehte durch das einen Spaltbreit geöffnete Fenster. Irgendwo in der Ferne hörte ich ein Telefon klingeln. Es schellte viermal und verstummte dann. Ich blickte auf die Uhr: Es war Viertel vor sieben. Ich schlief wieder ein und wachte um acht Minuten nach sieben wieder auf. Ich hatte noch den Schrei von irgend jemandem im Ohr, ein Schrei, den ich in meinem Traum gehört hatte.
    Aber es war kein Traum gewesen. Der Schrei war Wirklichkeit, und es war kein Schrei, sondern mehr ein erstickter Ruf, und er dauerte wahrscheinlich nicht länger als eine Sekunde, vielleicht zwei. Und dann hörte ich ein lautes Krachen.
    Mein Vater lag am Fuß der Treppe. Sein Morgenrock hatte sich um seinen Körper gewickelt; seine Arme waren zur Seite ausgestreckt; sein Gesicht war dem Boden zugewandt; er lag reglos auf dem Fußboden der Eingangshalle. Der Augenblick schien sich zur Ewigkeit zu dehnen, und dann kniete ich neben ihm nieder. Er sah wie ein Fremder aus, wie ein alter Mann, der ein Auge geschlossen hielt, während das andere zu mir hinauf starrte. Dann blinzelte dieses Auge.
    »Dad? Kannst du mich hören?« Ich bettete ihn in meine Arme. Eine Hälfte seines Mundes verzog sich zu einem Lächeln. Die andere Hälfte blieb reglos,

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