Assassino
als er den Blick seines Gegners bemerkte. Sofort brach er die Bewegung ab.
Keine Sekunde zu früh.
Eine weitere Brücke rauschte knapp über seinem Kopf hinweg. Kaum im Freien, stand er wieder auf den Beinen, während der Mann den Bruchteil einer Sekunde später unter dem Hindernis hervorkam. Diese Zeit reichte Ilyas. Er holte aus und traf seinen Gegner mit einem Fußtritt unters Kinn. Der Mann brach zusammen.
Der Beutel mit der Tasche war inzwischen durch die Erschütterungen des Wagens bis an die Dachkante gerutscht. Er konnte jeden Moment herunterfallen. Ilyas machte einen Hechtsprung und bekam ihn gerade noch rechtzeitig zu fassen.
Er schlang sich den Beutel über die Schulter und rollte seinen bewusstlosen Gegner, der ebenfalls vom Wagen zu stürzen drohte, in die Dachmitte. Sie näherten sich einer weiteren Kurve und das Gefährt wurde langsamer. Ilyas kletterte die nächste Leiter hinab und stellte sich auf eines der dicken Eisenrohre, die aus dem Wagen herausragten. Neben der geschotterten Böschung tauchte eine kleine Wiese auf. Er sprang.
Der Aufprall war härter, als er gedacht hatte, denn das Gras war kein saftiger Rasen, sondern verbarg unter den hohen Halmen einen steinigen Boden. Er strauchelte, taumelte ein paar Schritte vor und wäre beinahe eine weitere Böschung hinabgestürzt, die direkt an die viel befahrene Küstenstraße grenzte. Er ging am Rand entlang, bis er eine Stelle fand, an der er unbeschadet nach unten gelangte. In einem leichten Trab lief er den Gehweg entlang. Der Weg zurück war weit.
Misstrauen
Kati entdeckte Ilyas zuerst.
Sie hatte es nur kurz auf den Stufen ausgehalten, dann war sie aufgesprungen und immer wieder kreuz und quer über den Hof vor dem Museum getigert. Sie ärgerte sich über ihre Unachtsamkeit, die Ilyas in diese Situation gebracht hatte. Wer weiß, wo er jetzt steckte? Er kannte sich in Istanbul nicht aus, wie sollte er da den Rückweg finden?
Chris hatte Mustafa angerufen und ihm erzählt, dass Ilyas irgendwo in der Stadt unterwegs war. Der Fahrer hatte sich sofort bereit erklärt, nach ihm zu suchen, sich seitdem aber auch nicht mehr gemeldet.
Seltsamerweise hatte Kati keinerlei Sorgen, dass der Dieb ihrer Tasche Ilyas etwas antun könnte. Sie hatte ihn jetzt zweimal in kritischen Situationen erlebt, und jedes Mal war er Herr der Lage geblieben.
Paola und Chris hatten sie mehrfach aufgefordert, sich doch zu ihnen zu setzen, aber sie konnte einfach nicht stillhalten. Deshalb war sie auch die Erste, die ihn sah, als er durch das Tor vom Park her in den Hof kam. Ohne groß nachzudenken, lief sie auf ihn zu und wäre ihm wohl um den Hals gefallen, wenn er nicht seinen Arm ausgestreckt hätte.
»Hier«, sagte er. »Deine Tasche.«
Sie war so erleichtert, ihn heil wiederzusehen, dass sie erst gar nicht reagierte. Einen Moment standen sie sich so gegenüber. Dann nahm sie mit resignierter Miene den Beutel, den er ihr hinhielt, entgegen.
Er musste ihrem Gesicht abgelesen haben, dass etwas nicht stimmte. »Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Ja, ja, alles klar. Danke.« Kati kam sich wie ein kleines Schulmädchen vor. Sie hatte sich von ihren Gefühlen leiten lassen, aber wie konnte sie annehmen, er würde sich ebenso darüber freuen, sie wiederzusehen?
Gemeinsam gingen sie zu Chris und Paola. »Dann können wir ja jetzt endlich essen gehen«, sagte die Studentin, so als sei nicht viel passiert.
Kati erwiderte nichts, sondern folgte den drei anderen durch den Park zu einem kleinen Restaurant, von dem Paola in höchsten Tönen schwärmte. Unterwegs zog sie ihre Tasche aus dem Beutel und überprüfte, ob alles noch da war. Auf den ersten Blick schien nichts zu fehlen.
Das Lokal, vor dem sie Platz nahmen, war klein und unscheinbar. Eine Speisekarte gab es nicht. Paola wechselte ein paar Worte mit dem Kellner, und im Handumdrehen standen eine Karaffe mit Wasser, Teller, Gläser, Besteck, ein Korb mit Brot und ein halbes Dutzend kleiner Schälchen auf dem Tisch, die mit Oliven, Schafskäse und verschiedenfarbigen Pasten gefüllt waren.
Sie machten sich schweigend über die Vorspeisen her. Kaum waren sie damit fertig, räumte der Kellner die Schalen ab und stellte stattdessen eine große Platte mit in Öl gekochten Gemüsen hin. Sie war bis an den Rand bedeckt mit Artischocken,Okraschoten, Bohnen und gefüllten Krautwickeln. Dazu gab es eine Schale mit Reis.
»Hier isst man das Gemüse gern kalt«, erklärte Paola, während sie sich auftat. »Das ist bei dem
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