Assassino
hinterher. In ihrem Kopf rumorte es.
»Du siehst aus wie ein kleines Kind, dem man sein Spielzeug wegnimmt«, riss Chris sie aus ihrer Starre.
Kati funkelte ihn böse an. Konnte er nicht einmal seinen Mund halten? Ohne eine Antwort setzte sie sich an den Tisch und nahm sich ebenfalls einen Kasten vor.
2.
Wie immer erwies sich das konzentrierte Arbeiten als die besteAblenkung für Kati. Nachdem sie einmal in die Unterlagen eingetaucht war, hatte sie Paola und Ilyas nach wenigen Minuten vergessen. Nach einigen Stunden schweigenden Studiums der Dokumente hatten Chris und sie ihre Ergebnisse verglichen und eindeutig festgestellt, dass Bona tatsächlich in Konstantinopel angekommen war. Er hatte nach seiner Ankunft ein Haus in der Nähe der Theodosianischen Landmauer im Westen der Stadt bezogen. Wie lange er dort gelebt hatte, ging aus den Unterlagen allerdings nicht hervor.
Kurz vor zwei Uhr packten sie die Dokumente zurück in die Metallkästen, und Chris rief Paola an, die wenige Minuten später mit Ilyas in der Tür stand.
»Und, seid ihr fündig geworden?«, fragte sie.
»Fürs Erste schon.« Kati streifte sich ihre Umhängetasche über die Schulter. »Und jetzt knurrt mir der Magen.«
»Ich kenne ein nettes kleines Lokal hier in der Nähe«, erklärte Paola. »Wenn ihr wollt, können wir da gemeinsam essen gehen.«
»Sehr gern«, antwortete Chris, bevor Kati das Angebot ablehnen konnte. Das ungute Gefühl von heute Morgen war mit voller Wucht zurückgekehrt, und sie hatte keine Lust, sich noch eine weitere Stunde damit herumzuärgern. Doch jetzt konnte sie schlecht einen Rückzieher machen.
Paola schloss den Raum hinter ihnen ab und sie gingen zum Ausgang. Die drei liefen ein paar Schritte vor Kati her. Chris unterhielt sich angeregt mit der Studentin, und Ilyas hörte interessiert zu. Offenbar war sie die Einzige, die ein Problem mit der jungen Frau hatte. Da lag der logische Schluss nahe, die Ursachen dafür bei sich selbst zu suchen. Aber irgendwasstimmte seit dem Aufenthalt in Dubrovnik mit ihrer Vernunft und Logik nicht mehr.
Sie verließen das Museum durch den Hauptausgang. Kati blieb hinter der Tür stehen und kramte in der Umhängetasche nach ihrem Telefon, um ihren Vater anzurufen. Chris, Ilyas und Paola waren bereits die Stufen vor dem Eingang heruntergegangen. Die Studentin lachte über etwas, das Chris gesagt hatte. Ilyas stand, wie üblich, schweigend daneben, verfolgte aber jedes Wort und jede Geste sehr genau.
Kati hörte Schritte hinter sich.
Jemand stieß von hinten an ihre rechte Schulter und lenkte ihre Aufmerksamkeit von der Tasche ab. Sie hob automatisch den Kopf. Ein junger Mann murmelte »Entschuldigung«, ohne ihr dabei in die Augen zu sehen, und ging weiter. Im selben Moment rutschte ihr die Tasche aus der linken Hand.
Sie fuhr herum, um sie aufzufangen, kam aber zu spät. Ein anderer Mann hatte die Tasche bereits an sich gerissen. Der durchtrennte Schultergurt baumelte herab. Ehe sie reagieren konnte, trat er einen Schritt zurück und warf die Tasche seinem Komplizen zu, der schon darauf wartete.
»Hey!«, schrie Kati, aber es war viel zu spät. Der Mann mit der Tasche rannte schon über den Hof davon, während der andere seitwärts von der Treppe sprang.
Katis Schrei ließ ihre Freunde herumfahren. Sie zeigte hinter dem flüchtenden Taschendieb her und Ilyas sprintete sofort los. Zu ihrer Überraschung zögerte auch Paola keinen Augenblick. Sobald sie sah, wie Ilyas den Dieb jagte, rannte sie hinter dem zweiten Mann her. In wenigen Sekunden waren alle vier aus ihrem Blickfeld verschwunden.
Kati und Chris starrten sich an. Das war der dritte Überfall innerhalb weniger Tage! In was für eine Geschichte waren sie da hineingeraten? Wie konnte sich ihr Leben so schnell so radikal verändern?
Hoffentlich konnte Ilyas die Tasche wiederbeschaffen!
Kati ärgerte sich mehr über sich selbst als über den Dieb. Ihr Vater hatte ihr oft geraten, mit einem Tablet oder Netbook zu arbeiten, um die Daten nachts stets automatisch zu sichern. Aber obwohl Kati beides besaß, zog sie für ihre Arbeit doch das altmodische Notizbuch vor.
Und jetzt war es weg.
Paolas Rückkehr befreite sie aus ihrer Starre. Sie kam um die Ecke des Gebäudes und trieb den Mann, der den Schulterriemen durchgeschnitten hatte, vor sich her. Als sie näher kam, sah man, dass sie seinen rechten Arm hinter seinem Rücken nach oben drückte. Im Gegensatz zu ihm machte sie nicht den Eindruck, sich angestrengt zu
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