Assassin's Creed: Der geheime Kreuzzug (German Edition)
lange brachgelegen hatten. Er rief sich einige seiner größten Kämpfe in Erinnerung – wie er Talals Männer bezwungen, Moloch geschlagen und die Templer auf dem Friedhof in Jerusalem besiegt hatte. Der Krieger, der diese Kämpfe gefochten hatte, hätte die beiden Räuber binnen Sekunden getötet.
Aber diesen Krieger gab es nur noch in der Vergangenheit. Er war alt geworden. Trauer und Einsamkeit hatten ihn geschwächt. Zwanzig Jahre lang hatte er um Maria getrauert, war er besessen gewesen von dem Apfel. Sein kämpferisches Können, so groß es auch sein mochte, war in dieser Zeit nicht nur verwelkt, wie es schien, sondern abgestorben.
Er spürte Blut in seinen Stiefeln. Seine Hände machte es schlüpfrig. Er führte wilde Schwünge mit seiner Klinge, weniger um sich zu verteidigen, sondern eigentlich nur noch, um seine Angreifer zu verscheuchen. Er dachte an seinen Gepäcksack, der im Geäst des Feigenbaums sicher verstaut war und der den Apfel enthielt. Hätte er den Apfel zur Hand nehmen können, wäre er als Sieger aus diesem Kampf hervorgegangen. Aber das Artefakt war zu weit weg, und außerdem hatte er geschworen, es nie mehr zu benutzen. Genau aus diesem Grund hatte er den Apfel in der Baumkrone zurückgelassen, damit er ihn nicht in Versuchung führen konnte. Aber die Wahrheit war, dass er ihn benutzt hätte, wäre er jetzt in seiner Reichweite gewesen – um nicht auf diese Weise sterben zu müssen und den Räubern den Händler zu überlassen, dem infolge von Altaïrs Einmischung sicher ein noch schmerzhafterer und qualvollerer Tod bevorstünde.
Ja, er hätte den Apfel eingesetzt, weil er verloren war. Und er hatte sich von seinen Gegnern abermals ausmanövrieren lassen, wie er jetzt merkte. Langhaar kam von der Seite her auf ihn zu. Altaïr schrie auf im Bemühen, ihn abzuwehren. Langhaar reagierte auf seine Paraden mit Angriffshieben – eins, zwei, drei – , fand eine Lücke in Altaïrs Verteidigung und verletzte ihn ein weiteres Mal, seitlich am Rumpf diesmal, ein tiefer Schnitt, der sofort heftig blutete. Altaïr wankte, der Schmerz ließ ihn aufkeuchen. Nun, es war jedenfalls besser, so zu sterben, als sich kläglich zu ergeben. Lieber starb er kämpfend.
Langhaar kam heran, und wieder traf seine Waffe. Altaïr wurde abermals verwundet, jetzt an seinem bislang unversehrten Bein. Er fiel auf die Knie, seine Arme hingen herab, seine Klinge stach nur in den Sand.
Langhaar trat vor, aber Bayhas hielt ihn zurück. „Überlass ihn mir“, befahl er.
Trübe entsann sich Altaïr an eine andere Zeit, die tausend Leben lang her zu sein schien; da hatte sein Gegner dasselbe gesagt, und damals hatte er den Ritter für seinen Hochmut büßen lassen. Diese Befriedigung würde ihm diesmal nicht vergönnt sein, denn Bayhas trat vor Altaïr hin, der schwankend, bezwungen und mit hängendem Kopf im Sand kniete. Er versuchte seinen Beinen zu befehlen aufzustehen, aber sie gehorchten ihm nicht. Er versuchte seine Klingenhand zu heben, konnte es jedoch nicht. Er sah den Dolch auf sich zukommen, und es gelang ihm, den Kopf so weit zu heben, dass er Bayhas’ gefletschte Zähne und seinen goldenen Ohrring in der Morgensonne funkeln sehen konnte …
Dann gab sich der immer noch an den Füßen hängende Händler einen Ruck, schwang kopfüber nach vorn, umfasste Bayhas mit den Armen von hinten und hielt ihn für einen Moment zurück. Mit einem gewaltigen Schrei, einer letzten Anstrengung und mit einer Kraft, von der er nicht wusste, aus welchen Tiefen seines Körpers er sie heraufbeschwor, schoss Altaïr hoch, seine Klinge fuhr nach oben und bohrte sich in Bayhas’ Leib, in den sie einen senkrechten Schlitz hineinschnitt, der fast bis zu seiner Kehle hinaufreichte. Zugleich hatte Mukhlis sich den Dolch geschnappt, bevor dieser ganz aus Bayhas’ sich lockernden Fingern fallen konnte, und das Seil durchtrennt, an dem er hing. Er fiel, prallte schmerzhaft gegen die Brunnenmauer, rappelte sich aber auf und stellte sich neben seinen Retter.
Altaïr stand vornüber gebeugt da, hatte das Gefühl, im Stehen zu sterben. Aber er hob seine Klinge und starrte Langhaar aus zusammengekniffenen Augen an, der sich plötzlich in der Unterzahl sah, woraufhin ihn der Mut verließ. Anstatt anzugreifen, wich er zurück, bis er eines der Pferde erreichte. Ohne Altaïr und Mukhlis aus den Augen zu lassen, stieg er in den Sattel. Er starrte sie an, sie starrten zurück. Dann fuhr er sich ganz langsam mit einem Finger über
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