Assassin's Creed: Die Bruderschaft (German Edition)
hatte er in tiefe Falten gelegt. Als sie sich der Stadtmauer näherten, hellte sich sein Gesicht jedoch auf.
„Zügelt eure Pferde“, sagte er.
Seine Männer gehorchten, und Micheletto musterte sie. Der jüngste von ihnen, ein Achtzehnjähriger namens Luca, hatte noch kein einziges Haar am Kinn und eine Stupsnase. Er war bereits ein hartgesottener Mörder, doch sein Gesicht strahlte die Unschuld eines Engels aus.
„Holt eure Seile heraus und messt sie!“
Auch das taten sie. Jedes Seil maß zwölf Fuß – hundertzwanzig Fuß also, wenn man sie alle fest zusammenband. Fügte man Michelettos zehn Fuß langes Seil hinzu, kam man auf hundertdreißig Fuß. Die letzten zehn Fuß musste Cesare sich also fallen lassen, aber das würde ihm nichts ausmachen.
Das nächste Problem bestand darin, Cesare das Seil zuzuspielen. Zu diesem Zweck mussten sie ihren Mittelsmann kontaktieren, den Wachfeldwebel Juan, was nicht allzu schwierig sein dürfte, da sie Juans Patrouillenweg und seine Dienstzeiten kannten. Das würde Lucas Aufgabe sein, da der unschuldig wirkende junge Mann am wenigsten auffallen würde. Die übrigen Männer von Michelettos Bande konnten, obgleich sie wie Jäger gekleidet waren, keineswegs leugnen, was sie tatsächlich waren – nämlich abgebrühte Verbrecher. Juan würde ein paar Leute schmieren müssen, aber Micheletto hatte für Notfälle immer zweihundertfünfzig Dukaten dabei, und ein Zehntel davon sollte reichen. Für die ganze Sache.
Juan konnte sich Zutritt zu Cesares Zelle verschaffen und ihm das Seil bringen – bei ihm würden die Schweizer Gardisten keinen Verdacht schöpfen. Vielleicht würde Micheletto ihm sogar einen gefälschten Brief mit offiziell aussehendem Siegel mitgeben, den er Cesare zur Täuschung der Wachen überbringen konnte.
Das Torvorwerk war allerdings gewaltig, und wenn Cesare am Fuß des mittleren Turms anlangte, würde er die Innenhöfe durchqueren und – irgendwie – durch das einzige Tor entkommen müssen.
Zum Glück bestand La Motas momentaner Hauptzweck darin, den einzigen Gefangenen der Burg zu bewachen. Ursprünglich diente sie zur Abwehr von Angriffen der Mauren, aber diese Gefahr war längst gebannt, und die ganze Anlage war – abgesehen davon, dass Cesare darin einsaß – eigentlich überflüssig. Micheletto wusste von Juan, dass es sich für die hier stationierten Soldaten um einen recht gemütlichen Posten handelte.
Von Zeit zu Zeit brachte man Cesare sicher Kleidung zum Wechseln. Darum überlegte Micheletto, ob Juan ihm in diesem Rahmen etwas zum Überziehen bringen könnte, eine Verkleidung, um die Wachen zu täuschen; dann würde es vielleicht klappen. Eine andere Möglichkeit fiel ihm nicht ein; sie hätten sich den Weg in die Burg und den Turm hinein höchstens noch erkämpfen und Cesare mit Gewalt befreien können. Aber die Erfolgsaussichten dieses Weges wären gering gewesen.
„Luca“, sagte er schließlich, „ich habe eine Aufgabe für dich.“
Es stellte sich heraus, dass Juan fünfzig Dukaten für die ganze Sache wollte. Micheletto drückte ihn auf vierzig, ohne zu viel Zeit mit Handeln zu vergeuden. Luca musste dreimal hin- und zurückgehen, um die Angelegenheit zu arrangieren, dann meldete er endlich: „Alles bereit. Er wird das Seil und eine Wachuniform zu Cesare hinaufschaffen, wenn er den Mann begleitet, der ihm um sechs Uhr das Abendessen bringt. Der Seiteneingang wird von Juan bewacht werden, der die Schicht von Mitternacht bis sechs Uhr früh übernimmt. Von der Burg bis in die Stadt sind es zu Fuß fünf Minuten …“
* * *
Cesare Borgias linkes Bein schmerzte von den Wunden, die von der Neuen Krankheit herrührten, aber nicht allzu schlimm, es war nur ein dumpfes Pochen, das ihn ein wenig hinken ließ. Um zwei Uhr morgens band er, nachdem er in die Wachuniform geschlüpft war, das Seil fest um den Mittelpfosten seines Zellenfensters und ließ den Rest vorsichtig an der Außenwand nach unten gleiten. Dann schwang er das gesunde Bein über die Fensterbank, zog das andere nach und packte das Seil. Er schwitzte trotz der Kühle der Nacht, als er, immer wieder mit einer Hand unter die andere greifend, in die Tiefe stieg, bis seine Füße das Ende des Seiles ertasteten. Die letzten zehn Fuß ließ er sich fallen, Schmerz schoss beim Aufprall durch sein linkes Bein, aber er schüttelte ihn ab und humpelte zuerst durch den verlassenen Innenhof und dann über den äußeren, wo ihm die schläfrigen Wachen keine Beachtung schenkten,
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