Aster, Christian von - Die grosse Erdfer
vordringen würde, dann könnten diese zwei sie jedenfalls nicht daran hindern, die Eier des Ehernen Volkes und damit seine gesamte Zukunft zu zerstören. Insofern erschien es Fazzgadt sehr wahrscheinlich, dass sich irgendwo in diesen Wänden magische Steine zum Schutz des Ortes verbargen.
Doch auch wenn er sich irrte und die Höhle nicht von Magie erfüllt war, war ihr Inneres auf jeden Fall atemberaubend. Allein die zwei Dutzend Reihen steinerner Säulen in ihrer Mitte, die mit den vergessenen Ornamenten und Symbolen alter Tage verziert waren, den Zeichen besserer Zeiten, als das Eherne Volk noch eine Zukunft besessen hatte. In die Säulen waren rundherum kleine Kammern eingemeißelt, in denen die Letzten ihres Volkes ruhten. In stählernen Eiern, die im ewigen Eis des Kalten Schoßes aufbewahrt wurden, harrten sie auf die Hand desjenigen, der sie zur Welt bringen würde.
Es waren die letzten Eier, aus denen ausschließlich männlichen Nachfahren schlüpfen würden. Sie waren das Vermächtnis der Zwergenfrauen, mit denen vor Hunderten Jahren die Hoffnung auf eine blühende Zukunft gestorben war. Einstmals hatten sich weibliche und männliche Eier voneinander unterschieden. Die männlichen hatten eine bläuliche Färbung aufgewiesen und die weiblichen eine rötliche. Den alten Gesetzen entsprechend, hatten sie getrennt gelagert werden müssen. Und als die Frauen während des Splitterspinnenkrieges gestorben waren, waren durch eine unglückliche Verkettung von Umständen auch die Eier ihrer weiblichen Nachfahren zerstört worden. Und darum ruhte in diesen Wänden nun die Wurzel der gesamten Zwergenheit. Eine durchgehend männliche Wurzel, die lange nicht mehr so tief und fest im Felsen stak wie einst.
Beinahe wehmütig betrachtete Fazzgadt die Eier, deren Schatten sachte in ihren Kammern zitterten, als er die Fackel hob.
Dass ihn nicht mehr fror, war einzig auf den Trauertrunk und das Staunen zurückzuführen. Schwarze flüssige Trauer wärmte ihm Herz und Glieder und das Staunen sein Gemüt.
Wie seltsam, dass man einen solchen Ort erst zu sehen bekam, wenn der eigene Bartbruder sein Bier mit den Altvorderen trank. Letzten Endes war es allein der Tod, der einem Zwerg die Tore des Kalten Schoßes öffnete. Der Tod, der den Weg zum Leben ebnete, das hier in seiner ursprünglichsten Form ruhte. Stahl in Fels und Eis. Dies war die Wiege seines Volkes. Der heiligste aller Orte. Der Rest dessen, was einst ihre Zukunft gewesen war.
Wie viele Eier mochten es noch sein? Jede der Säulen besaß sechs Vertiefungen, von denen einige bereits geleert waren. Zwei Dutzend Reihen mit je zehn Säulen…
Es waren wenige. So verdammt wenige. Das Ende von Zwerg und Zwergeszwerg schien Fazzgadt plötzlich näher, als er gedacht hatte.
Er wusste freilich, dass es Prophezeiungen gab. Es gab immer Prophezeiungen. Und es hatte sie immer gegeben. Doch weder von sprechenden Erzferkeln noch vom Lauf des Olms hielt er sonderlich viel. An das eine glaubte er nicht, und das andere war ihm so egal wie ein Steinschlag am Ende der Welt. Den Auftritt des Lehrers unter den Schülern, des Flammenden unter den Glimmenden und des Wasauchimmer unter Wemauchsonst im Rahmen der Audienz pflegte er in der Regel für ein Nickerchen zu nutzen. Fazzgadt war ein aufgeklärter Zwerg, und Aberglauben war in seinen Augen bloß ein Geschäftszweig der Priesterlichen, Übersinnlichen und Irrsinnigen. Er hatte selbst lange genug auf dem großen Feiertagsmarkt des Inneren Distrikts Talismane an die Abergläubigen verkauft. Und er hatte nicht schlecht davon gelebt. Die Furcht der anderen war eine treffliche Goldmine. Man musste nur wissen, wo man die Hacke ansetzen musste…
Und die Prophezeiungen hieben stets nur in die gleiche Kerbe. Er hatte selbst einmal mit dem Gedanken gespielt, sich der Gilde der Seher anzuschließen. Irgendetwas sah man immer. Vor allem mit Graupilz, Staubbeere oder gestoßener Schattenknolle im Bier. Sich für das Trinken bezahlen zu lassen, war jedenfalls gewiss nicht die schlechteste Arbeit. Fazzgadt war sich sicher, dass er eine große Karriere vor sich gehabt hätte.
Die meisten Seher waren einfallslose Scharlatane, die lediglich klassische Prophezeiungen variierten, Verderben verhießen, das Eherne Volk zur Buße aufriefen und von mäßig schrecklichen Visionen berichteten. In diesen Dingen hätte er sie alle um Längen geschlagen.
Das Problem dabei war, dass Fazzgadt sich nicht gern beim Trinken begaffen ließ. Die Seher aber
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