Aster, Christian von - Die grosse Erdfer
Fazzgadt hatte beinahe das Gefühl, als hätte er die letzten Jahre, Schicht um Schicht, nur gespart, um irgendwann seinen besten Freund erschlagen und dessen Kinder zur Welt bringen zu können.
Vielleicht waren zwölf Flaschen doch etwas viel gewesen. Womöglich könnte er die eine oder andere Flasche einfach hier irgendwo liegen lassen… Doch im nächsten Moment schon schien ihm sein Vorhaben kleinlich. Dieser Ort verdiente andere Gedanken. Denn es war ein heiliger Ort. Hier wuchsen zukünftige Generationen heran.
Fazzgadt ließ den Gedanken fallen. Und mit ihm auch fünf leere Tonflaschen, die er mit dem Fuß verstohlen hinter eine der leeren Säulen schob, während er das erste Ei in das Tragegestell setzte.
So viel zu den Regeln, den Wegen der Ordnung und ihren Stützbalken.
Aber wie in jedem anderen Gang hatte man auch bei der Ordnung sicherheitshalber doppelt so viele Stützbalken eingebaut wie eigentlich nötig. Und darum würde es die Ordnung nicht scheren, wenn einer von ihnen wegbrach. Regeln hatten ihre Ausnahmen.
Und auch Hrodborrk, sein Bartbruder, war eine solche Ausnahme gewesen. Kein gewöhnlicher Zwerg, kein Kleintrinker, Dummdenker und Dreckschürfer. Nein! Einer, der anders gewesen war. Einer, dessen Vorfahren das Feuer erfunden hatten und mit dem jeder Bierzwist eine Wonne gewesen war. Hrodborrk war aus anderem Stahl geschmiedet gewesen! Eine Ausnahme. Und zumindest einer seiner Söhne sollte es auch sein!
Kaum dass Fazzgadt das erste Ei mit einigen Lederriemen festgeschnallt hatte, warf er sich das Gestell über die Schulter, griff nach der Fackel und stapfte entschlossen durch die Reihen der Säulen, bis er bei der letzten anlangte.
Gewöhnliche Zwerge mochten aus den vorderen Reihen stammen und den Regeln entsprechend schlüpfen. Dieser hier nicht! Er war der Sohn eines besonderen Zwergs und würde darum selbst etwas Besonderes sein!
Entschlossen rammte Fazzgadt die Fackel in ihre Halterung und setzte das Tragegestell ab. Dann nahm er aus der letzten Säule der letzten Reihe das oberste Ei, verstaute es hastig in dem Gestell und schaute sich nervös um. Womöglich wurde er beobachtet. Oder die Magie hatte etwas gegen seine Tat einzuwenden. Wer konnte schon sagen, wie es im Kalten Schoß wirklich zuging? Womöglich traf ihn im nächsten Moment ein Blitz, eine Axt oder eine Erkenntnis. Bei Ausnahmen konnte man nie wissen. Denn selbst wenn die Stollen der Ordnung selbst nicht einstürzten, konnten sich doch einzelne Steine lösen…
Während er das zweite Ei mit Lederriemen sicherte, wurde ihm bewusst, dass irgendetwas daran merkwürdig war. Einen Moment lang hielt er inne und runzelte verwirrt die Stirn. Das Ei schien irgendwie leichter zu sein als das erste. Seine Verwunderung hielt jedoch nicht lange an. Im nächsten Moment schon war sie verflogen, und Fazzgadt schnallte sich die Trage mit den beiden Söhnen seines Bartbruders auf den Rücken und ging zu den vorderen Säulen zurück.
Er nahm eines der Eier, klemmte es sich unter den Arm und schleppte es nach hinten, um die dort entstandene Lücke aufzufüllen. Schließlich trat er zurück und betrachtete sein Werk – jede Spur seiner verwegenen Tat war getilgt.
Er schaute sich um. Was blieb, war ein seltsames Gefühl. Hier, inmitten der kläglichen Überreste des einstmals glorreichen Ehernen Volkes, im Widerschein alter Magie und im letzten Hort der zwergischen Hoffnung eherne Regeln zu brechen war gewagt. Verdammt gewagt. Aber dieses Gefühl war dennoch kein schlechtes…
Wieder am Tor, drehte er sich noch einmal um und ließ den Blick durch den von Blitzen durchzuckten Felsendom schweifen. Ob er jemals wieder hierher zurückkehren, jemals wieder einen Bartbruder haben würde? Und ob es hier dann überhaupt noch stählerne Eier geben würde?
Fazzgadt schüttelte den Gedanken ab. Es galt, die Söhne seines Freundes zur Welt zu bringen. Er schlug ans Tor. Faust auf Stahl. Drei feste Schläge. Das Echo hallte zwischen den Säulen wider, wurde von den vereisten Wänden zurückgeworfen, und für einen kurzen Augenblick schienen die Blitze im Eis heller zu werden.
Als das Tor sich öffnete, erblickte Fazzgadt im Licht des Ganges das Antlitz der Wachtposten. Sie machten sich nicht die Mühe, das Tor ganz zu öffnen, und ließen ihn durch einen schmalen Spalt nach draußen.
Der Verlierer der Wette war immer noch schlecht gelaunt. Fazzgadt hörte ihn zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorzischen, dass einer, der mit zwölf
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