Aster, Christian von - Die grosse Erdfer
zweibeinige Gedächtnis mochte das geistige Erbe der Zwergenheit bewahren, die Bibliothekare aber waren ihr Unterbewusstsein. Sie speicherten alles und jeden, und unter ihren Händen wurde jedes Geheimnis gelüftet, und jede Tat fand ihren Täter.
Ein Problem war jedoch, dass die Bibliothekare sehr launisch waren.
Ein anderes, dass sie es sich leisten konnten.
Die Bibliothekare waren auf den Rest des Ehernen Volkes nicht angewiesen. Sie tranken nicht das gleiche Bier und aßen nicht die gleichen Wurzeln wie sie. Und einzig der Ewige Schmied wusste, wohin die Gänge hinter ihrer Höhle sich erstreckten. Wenn ihnen danach war, zogen sie sich in die Dunkelheit zurück und blieben dort hundert Jahre oder länger im Verborgenen.
Der Große Verwalter und der Verkünder alles zu Verkündenden bedienten sich der Bibliothekare, wann immer sie konnten, mussten dabei jedoch überaus bedacht zu Werke gehen. Die Bibliothekare waren ein sprödes und widerwilliges, zugleich aber auch unersetzliches Werkzeug.
Als schließlich bloß noch ein Schlüssel am Bund des Verwalters verblieben war, der noch keine Verwendung gefunden hatte, blieben sie vor einer nackten Felswand stehen. Der Verwalter setzte den Sack ab, reichte die Leuchtkäferlaterne an den Hohepriester weiter und hob den Schlüsselbund hoch.
Dieser letzte Schlüssel war anders. Er war nicht aus Metall und hatte auch nicht die eigentliche Form eines Schlüssels. Es war ein faustgroßer Stein, wie er inmitten anderer seiner Art nicht aufgefallen wäre. Er war ebenso leicht zu verbergen wie zu verlieren und einzig deshalb als etwas Besonderes zu erkennen, weil er am Schlüsselbund des Großen Verwalters hing.
Der hob den Stein in eben diesem Moment hoch und schob ihn in ein kleines Loch in der Wand, das sich etwa in Höhe seines Kinns befand. Er nickte seinem priesterlichen Begleiter zu, und dieser warf den Umhang seines Zeremoniengewandes über die Laterne, sodass die beiden nun in beinahe völliger Finsternis standen. Der Große Verwalter blickte den Allerpriesterlichsten ernst an. Dann nickte er ihm kurz zu. Dies war der Moment, da ihre Wege sich trennten. Die erste der verborgenen Höhlen durfte der Verwalter nur allein betreten.
Er drehte den Stein im Schloss. Es knirschte leise, und die Wand schob sich zur Seite. Beinahe blind tastete er sich voran und ließ den Höchsten der Hohen im Gang zurück, um die Hilfe der Bibliothekare zu erbitten.
Nachdenklich schaute Gutgroll Zornhold, der Häuptling der Erde, den Ferkelbändiger an, dem ein eifriger Diener, seiner Schulterwunde wegen, gerade einen Verband angelegt hatte.
»Und du sagst, sie hätten nicht einmal mit euch gesprochen?« Zornhold hob die Kugel hoch, die der Diener aus Blechboldts Wunde geholt hatte, und betrachtete sie kritisch.
Blechboldt biss die Zähne zusammen, als der Verband festgezogen wurde. »Sie sind ohne Vorwarnung über uns hergefallen und haben uns niedergemacht.«
Zornhold runzelte ungläubig die Stirn, sodass sich seine buschigen Augenbrauen für einen Moment zusammenzogen. »Und du bist dir sicher, dass einer von ihnen auf einem Troll geritten ist?«
»Ja, verdammt, wie oft soll ich…«
»Versteh mich nicht falsch, Farrnwart. Als dein Stammesüberhaupt möchte ich nur sichergehen. Es würde ein schlechtes Licht auf uns werfen, wenn am Ende herauskäme, dass du bloß Schattenzwirbel geraucht oder ein paar Humpen über das Maß genommen hast…«
Humpen über das Maß. Innerlich stöhnte Farrnwart Blechboldt auf. Schon bei dem Gedanken an einen einzigen Humpen Bier wurde ihm übel. »Es war ein Troll, vertrackter Fels noch eins, ein Zwerg hatte ihn mit Zaumzeug gebändigt, gab ihm die Sporen und ritt unsere beiden Wachen nieder. Und fast hätte dieses riesige Vieh auch mir den Garaus gemacht.«
»Aber weshalb? Weshalb hätten diese Zwerge, wer immer sie auch waren, die Expeditionsteilnehmer töten sollen?« Zornhold konnte sich einfach nicht vorstellen, was die Vermummten überhaupt gewollt haben konnten.
»Ihr hattet nichts bei euch, das wichtig gewesen wäre«, schaltete sich Krass Breitbart ein, der sich während des Gesprächs offenbar einige Gedanken gemacht hatte. »Ihr habt nichts Bedeutendes entdeckt, wovon ihr hättet berichten können. Warum also…«
Doch Blechboldt fiel ihm ins Wort. »Vielleicht haben sie es getan, damit wir etwas Bestimmtes nicht entdecken…«
»Sag, was du willst, ich habe noch nie von einem Zwerg gehört, der auf einem Troll geritten
Weitere Kostenlose Bücher