Astrella 02 - Brudernacht
angelangt war. Obst kniete auf dem stöhnenden Jungen. Der hatte sich bei dem Sturz offensichtlich verletzt. Eck erkannte auf Anhieb, dass der Junge höchstens fünfzehn Jahre alt sein konnte. Irgendwie enttäuschte ihn diese Feststellung.
Astrella baute die Kugeln auf und trat zurück.
»Na, Louis, heute ist wohl nicht dein Tag«, meinte Willi und lachte. Bereits sieben Siege und erst zwei Niederlagen gaben ihm recht.
»Du sollst ja auch mal ein Erfolgserlebnis haben.« Astrella war abends kurz nach neun in den Billardklub beim alten Paketpostamt gegenüber dem Bahnhof gekommen, nachdem Willi ihn angerufen hatte. Seine Andeutung, lieber ins Kino zu gehen, hatte der andere nicht gelten lassen.
»Du und dein Kino! Da wirst du doch nur dick und fett vom Popcorn und Cola. Beim Billard kannst du dich prima entspannen und was für deine Figur tun.«
Willi war sein Nachbar, bereits über fünfzig und ein äußerst angenehmer Zeitgenosse und Spieler, für den Niederlagen ganz einfach zum Leben gehörten. Seine gemütliche Ausstrahlung wurde durch den enormen Bauch und die rundglasige Brille noch verstärkt. Vor ein paar Wochen hatte er Astrella erstmals dazu überredet, mit ihm Billard zu spielen. An diesem Abend spielten sie nun bereits zum fünften Mal miteinander.
»Von wegen Erfolgserlebnis«, widersprach Willi. »Du kannst ruhig zugeben, dass du heute einfach nicht gegen mich anstinken kannst und deinen Meister gefunden hast.«
Während Willi anstieß und im Hintergrund aktuelle Popmusik spielte, dachte Astrella an Frau Klimnich. Er musste nochmals mit ihr sprechen. Irgendeinen Ansatzpunkt zur Lösung des Mordfalles gab es, das war sicher. Es gab immer einen Ansatzpunkt, das war ein Grundgesetz bei Mordfällen. Sollte er sie nachher noch anrufen? Andrerseits gab es da noch Sandras Brief. Er sollte sich hinsetzen und ihr antworten. Sie freute sich, wenn sie von ihm einen Brief bekam. Am liebsten jedoch hätte er bei Anne angerufen, um ihre Stimme zu hören und sie fragen zu können, wie es ihr ging – und ob sie schon zu einer Entscheidung gekommen sei. Doch er wusste, dass dies ein möglicherweise nicht wieder gutzumachender Fehler gewesen wäre. Er würde die Ungewissheit aushalten müssen.
»He, Louis, du bist dran.«
»Ach so, ja«, sagte Astrella und besah sich die Stellung der Kugeln auf dem Tisch. Willi hatte eine raffinierte Sicherheit auf die Vier gespielt; es würde Astrella alle Konzentration abfordern, um kein Foul zu spielen.
7
Sie kann das Geschrei nicht länger ertragen. Sie nimmt ihr Kind aus seinem Bettchen, wiegt es hin und her, hin und her, wird schneller und schneller, wiegt es viel zu heftig. Und als das Schreien zunimmt, streichelt sie ihm so fest über den Mund, dass es kaum noch Luft bekommt und das Schreien in ein Röcheln übergeht, so wie das Rot der Gesichtsfarbe langsam in ein Blau wechselt. Sie streichelt es nicht mehr, das Schreien ist verstummt. Aber nur für Sekunden, bis das Kind feststellt, dass der Weg für einen neuen, langgezogenen Schrei wieder frei ist. Sie bemerkt nicht, wie hinter ihr die Tür aufgeht.
»Kommen Sie«, sagt Schwester Kordula und nimmt ihr das Kind behutsam aus den Armen. »Ich nehme es Ihnen ab. Es hat nichts mit Ihnen zu tun.« Sie sagt es, um die Mutter zu beruhigen, nur deshalb.
Zillmann wartete, bis alle ihre Plätze eingenommen hatten, dann begann er mit der morgendlichen Besprechungsrunde.
»Wahrscheinlich wisst Ihr ja schon von der Festnahme zweier Männer letzte Nacht wegen versuchten Raubes. Ich wurde angerufen und zusammen mit Corinna, Wolfgang und Herrn Pedlasch haben wir sie sofort vernommen. Leider war es ein Fehlschlag, auch wenn es alte Bekannte von uns oder vielmehr vom Streifendienst sind.«
Er nannte die Namen und das stumme Nicken der meisten bestätigte Zillmanns Vermutung.
»Zwar haben die beiden Fersengeld gegeben, als die Kollegen vom Steifendienst plötzlich hinter ihnen her waren. Trotzdem war es nicht möglich, sie festzunageln oder gar dem Haftrichter vorzuführen. Wir mussten sie laufenlassen.«
»Mord ist für die auch ein paar Nummern zu groß«, stellte Markus Lindemann fest, ein schwarzhaariger Vierzigjähriger, der von den anderen Wühlmaus genannt wurde, weil er mit Vorliebe und erfolgreich zeitaufwendige Ermittlungsarbeit durchführte.
»Da hast du sicherlich recht«, bestätigte Zillmann den Einwurf. »Was haben wir sonst im Mordfall Klimnich?«
Pedlasch meldete sich zu Wort.
»Wir haben versucht,
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