Astrella 02 - Brudernacht
vielleicht einhundertfünfzig Zentimetern gerade mal an die Brust reichte. Sie schien um die vierzig Jahre alt und früher bestimmt hübsch gewesen zu sein. Vollkommen aufgelöst nestelte und zupfte sie an ihrem dunkelblauen Rock und der billigen, mit Pailletten besetzten weißen Bluse herum, um sie gleichzeitig unablässig glattzustreichen. Eck, noch zu wütend, hatte die Frau ohne Umschweife mit den Angaben des Fahrers konfrontiert. Und als er sie dann vorwurfsvoll gefragt hatte, ob es sich bei dem Fahrer um ihren Mann handeln würde, konnte sie die Tränen nicht mehr länger zurückhalten.
»Der ist tot«, hatte sie mit müder Stimme erklärt. Die stummen Tränen trafen Eck völlig unvorbereitet. Schließlich konnte er nur noch mit lahmer Stimme sagen, dass sie ihren Freund beim nächsten Mal dazu anhalten solle, ordnungsgemäß zu parken.
Eck konnte diese tränenden Augen nicht vergessen. Seit langem wieder einmal machte er sich Vorwürfe hinsichtlich seines Einschreitens. Er wusste genau, dass er der Frau in dieser Situation jede Möglichkeit genommen hatte, ihre Selbstachtung zu wahren. Unwillkürlich dachte er an seine Frau Annegret, die ihm erst jüngst vorgeworfen hatte, anderen gegenüber immer kälter zu werden. Sie fand das nicht gut. Er fand es ebenfalls nicht gut. Und nun saß der junge Obst neben ihm, dem all das erst noch bevorstand, der sich noch wohlfühlte in diesem Beruf, den er voller Ideale ergriffen hatte.
Eine hastige Bewegung von Obst ließ ihn zusammenzucken.
»He, Manfred, schau mal!«
Dabei zeigte Obst mit seinem rechten Zeigefinger schräg gegenüber in Richtung Eisenbahnstraße. Die Entfernung zu dem älteren Herrn mit seinem Hund betrug ungefähr dreißig, vierzig Meter. Die Rasse des Tieres war nicht zu erkennen. Jedenfalls reichte er dem nicht sonderlich großgewachsenen Mann gerade mal bis zur Schienbeinmitte.
»Und, was ist da?«
»Da, siehst du nicht die zwei Typen an der Ecke vom Möbel Maurer?«, antwortete Obst mit angespannter Stimme.
Erst jetzt entdeckte Eck die beiden. Sie standen unschlüssig auf dem Gehweg und unterhielten sich, wobei der Kleinere von beiden energisch mit den Armen fuchtelte; er schien den anderen von irgend-etwas überzeugen zu wollen. Offenbar war Obst auf sie aufmerksam geworden, weil sie während ihrer Unterhaltung fortgesetzt schnelle Blicke zu dem Mann mit seinem Hund warfen. Nun zahlte sich aus, dass sie so geparkt hatten: Weder der Spaziergänger noch die beiden Typen konnten sie in dem Zivilfahrzeug erkennen. Eck hatte sofort nach dem Abstellen des Motors die Innenbeleuchtung abgestellt.
»Wir müssen noch warten«, flüsterte er dem jungen Kollegen zu und wunderte sich gleichzeitig über sein Flüstern. Es war immer dasselbe in solchen Situationen: Obwohl ein alter Fuchs in diesem Geschäft, ließ er sich auch heute noch sofort von dieser Spannung überwältigen. Er spürte, wie seine Handinnenflächen feucht wurden, die Bauch-und Rückenmuskulatur sich spannte, sein Gaumen trocken war. Er wusste, dass es dem Kollegen nicht anders erging und für diesen die Anspannung wahrscheinlich noch größer war, weil er im Umgang mit derartigen Situationen noch nicht so erfahren war. Dieses Gefühl war einfach faszinierend, ja berauschend. Eck hatte sich in ruhigen Minuten schon manchmal gefragt, warum das so war. Vermutlich lag es daran, weil irgendwo tief unten oder hinten im Gehirn, er kannte sich da nicht so aus, jedenfalls gut versteckt, die Angst schielte vor der in ihrem Beruf ständig lauernden Todesgefahr. Sich einzugestehen, dass zumindest ein winzig kleiner Teil dieser Angst auch darin bestand, selbst zu versagen, fiel ihm auch heute noch schwer.
Ein leises Klacken störte Ecks Konzentration auf die Vorgänge gegenüber. Obst hatte den Türöffner betätigt. Automatisch ergriff Eck als Beifahrer das kleine Funkgerät und stellte die Lautstärke auf die niedrigste Stufe ein. Da drehten sich die beiden Typen in die Richtung des Spaziergängers und stapften los. Der Mann – Eck schätzte ihn auf ungefähr sechzig Jahre, soweit das von seinem Platz aus überhaupt möglich war – schien sich weiterhin zu überlegen, ob er sich wieder auf den Heimweg begeben oder noch einige Schritte weitergehen sollte. Seit Obst ihn auf die Personen aufmerksam gemacht hatte, waren bestimmt drei, vier Minuten vergangen. Obst drückte die Fahrertür ein Stück weiter auf.
»Warte! Noch nicht!«, flüsterte Eck erneut, dieses Mal noch drängender. Hatten die
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