Astrella 02 - Brudernacht
richtigen Leute damit zu tun haben?«
»Es tut mir leid, aber ich schließe gerade!«
Astrella erkannte Slim sofort wieder. Er war der Mann auf dem Foto, das Frau Emmel ihm so stolz gezeigt hatte. Nur gab es einen Unterschied, der Astrella auf Anhieb auffiel: Auf dem Foto war die Sonnenbrille lediglich eine ›Auffälligkeit‹ gewesen, die den ansonsten nicht unangenehmen Eindruck nur etwas trübte, den der Mann darauf machte. Doch hier trug dieselbe Sonnenbrille in Verbindung mit Slims Auftreten dazu bei, dass er Astrella sofort unsympathisch war. Das lag weniger am grußlosen knappen Empfang. Astrella störte alles, was er sah und hörte: Da war dieser enge, unaufgeräumte Laden, die merkwürdig alt klingende Stimme von Slim, der schräge Vogel bei ihm, der selbst bei dieser Hitze eine rote Ballonjacke trug und Astrella mit kriecherischem, unstetem Blick musterte, und nicht zuletzt das, was Slim soeben zu seinem Besucher gesagt hatte.
Astrella hatte jedes Wort verstanden. Irgendwie tat ihm die Mutter plötzlich leid. Eigentlich war er nur hierhergekommen, um einen Eindruck von Slim zu bekommen. Aufgrund des Fotos war er auch darauf vorbereitet gewesen, Slim mit seiner Sonnenbrille anzutreffen. Trotzdem stellte er aufs Neue fest, wie sehr es ihn auch heute noch störte, wenn er nicht in die Augen eines Gesprächspartners schauen konnte. Er bedauerte, dass weder die am Ende nette Unterhaltung mit Frau Emmel noch die angenehme Oldiemusik aus den unsichtbaren Lautsprechern diesen schlechten Eindruck wettmachen konnten. Selbst an der Musik störte ihn etwas. War es die Tatsache, keinen jungen Mann zu kennen, der gern alte Schlager hörte? Wollte Slim, indem er diese Musik spielte, ein Stück Vergangenheit heraufbeschwören, die er nicht erlebt haben konnte? Oder war er selbst, Astrella, heute schon zu lange in der heißen Sonne gestanden und kam deshalb auf absurde Gedanken? Astrella besann sich auf den Grund seines Kommens.
»Nun, ich wollte Sie auch gar nicht lange aufhalten. Ich bin lediglich gerade damit beschäftigt, mir einen PC auszusuchen, und klappere deshalb sämtliche Läden ab, die dafür in Frage kommen.«
»Da haben Sie sich aber einiges vorgenommen.«
Die Stimme seines sonnenbebrillten Gegenübers klang, als sei es ihm schlichtweg egal, ob er den PC bei ihm oder einem anderen Händler kaufte. Nun, wenn Astrella an die Vermögenslage der Witwe Emmel dachte, wunderte ihn das nicht sonderlich. Slim erweckte in ihm immer stärker den Eindruck, vor nichts und niemandem Respekt zu haben.
»Und – können Sie mir dabei helfen?«, fragte er, mit etwas unwillig klingender Stimme den Kunden mimend, der nach dem Besuch des fünften Geschäftes nicht mehr in der Stimmung zu langwierigen Verhandlungen ist.
»Könnte ich schon«, antwortete Slim bedächtig.
»Aber?«
In diesem Moment sah Astrella den Kriecher aus dem Hinterzimmer heraustreten, ohne dabei ein Geräusch zu verursachen. Unwillkürlich dachte Astrella an eine Schlange. Offenbar schien er nicht daran interessiert, über die Zeit des Beratungsgespräches zu warten. Trotz der Geräuschlosigkeit seiner Schritte kam er nicht weit.
»Snake, dreh mal die Musik leiser!« forderte Slim ihn auf, ohne sich umgedreht zu haben und Snakes Absicht erkennen zu können. »Und mach die Tür zu!«
Überrascht erkannte Astrella, dass Slim Snakes Loslaufen einfach erahnt haben musste. Etwas anderes jedoch stimmte ihn nachdenklich: Warum hatte Slim Snake aufgefordert, die Musik leiser zu drehen und die Tür zu schließen? Astrella hatte sich nicht an der Lautstärke gestört. Es schien vielmehr gerade so, als hätte Slim seinen Kumpel einfach nur auf Nummer Sicher haben wollen. Womit sich zwangsläufig die Frage nach dem Grund stellte. Hatten sie etwas zu verbergen? War es für Slim wichtig, Snake so lange dazubehalten, bis er Zeit fand, sich mit ihm zu beschäftigen? Befürchtete er, sein Schlangenkumpel könnte irgendeinem Druck nicht mehr standhalten und zu plaudern beginnen? Wenn Astrella an die Bemerkungen dachte, die Slim Snake gegenüber gemacht hatte, als er den Laden betrat, wollte Snake offenbar aus irgendeiner Sache aussteigen. Daraufhin kam die unverblümte Drohung von Slim, dass er dann aus dem Leben aussteigen würde. Welche Gefahr konnte Slim drohen, dass er im Gegenzug dem anderen derartig drohen musste? Um eine Kleinigkeit konnte es sich nicht handeln, denn dafür war er zu gewieft und kaltschnäuzig. Zudem schien es um eine Sache zu gehen, an
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