Asylon
könnte sein. Wir sollten auf jeden Fall …«
Ein Schaben ließ sie verstummen.
Dann sah sie den Lichtschein, und der Schreck ließ ihren Atem stocken.
Irgendjemand hatte die
Eingangstür geöffnet. Fahles Mondlicht fiel durch den Spalt und beleuchtete
einen Teil der schwarz-weißen Musterung der Kacheln. Saïna spürte, wie sich
Poosahs Hände in ihren Arm krallten, und betete, dass das Mädchen still sein
würde.
Ein großer Schatten schob sich
durch den Türspalt und verschwand sofort wieder im Dunkel jenseits des Lichts.
Irgendetwas, vielleicht die Größe, vielleicht die Art der Bewegung, ließ Saïna
vermuten, dass es sich um einen Mann handelte. Die Tür kratzte wieder über die
Fliesen und fiel mit zögerlichem Klicken ins Schloss. Erneut war der Raum in
Finsternis getaucht.
Nur, dass da jetzt irgendwo in
dieser Finsternis eine andere Präsenz war, keine zehn Meter von ihr und Poosah
entfernt. Saïna spürte die Anwesenheit des Fremden wie eine elektrische
Spannung. Angestrengt lauschte sie in die Dunkelheit, doch alles, was sie
vernahm, war das Pochen ihres eigenen Herzens, so laut, dass sie Angst hatte,
der Mann könnte es hören.
Mit einem Mal flammte eine
Taschenlampe auf. Saïna musste einen Schrei unterdrücken. Langsam begann der
Lichtkegel über die Sitznischen zu wandern. Die Starre, die in Saïna gefahren
war, löste sich ein wenig, als sie erkannte, dass sich der Lichtkegel von ihr
fortbewegte. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis man sie entdecken würde.
Vorsichtig glitt sie über die
brüchige Lederhaut der Sitzbank, auf der sie geschlafen hatte, nach unten. Dann
zog sie Poosah am Arm und bedeutete dem Mädchen, ihr möglichst leise zu folgen.
Gehorsam rutschte Poosah neben sie.
Unter dem Tisch fühlte sie sich
etwas sicherer. Der Nachteil war allerdings, dass sie von dieser Position aus
den Strahl der Taschenlampe nicht mehr sehen konnte. Immerhin verriet ihr das
leichte Knirschen, das die Schuhe des Mannes auf dem Fliesenboden verursachten,
dass er wohl immer noch auf der anderen Seite des Restaurants war. Sie tastete
nach Poosahs Kopf. Dann näherten sich ihre Lippen dem Ohr des Mädchens, bis sie
Poosahs Wärme spüren konnte. »Sei jetzt ganz still, okay, Schätzchen?«
Selbst ihr zartes Flüstern kam
ihr in der düsteren Stille wie Donnerhall vor. Einen Moment lang hielt sie
inne, doch der Fremde schien sie nicht gehört zu haben. Dann spürte sie Poosahs
heftiges Nicken. Noch einmal nahm Saïna ihren ganzen Mut zusammen.
»Wir müssen hier weg«, wisperte
sie. »Ich geh hoch auf alle viere. Steig auf meinen Rücken und halt dich fest.
Aber sei leise!«
Wieder nickte Poosah. Vorsichtig
kroch Saïna unter dem Tisch hervor.
Um Gottes
willen, dachte sie.
Der Lichtkegel wanderte ganz in
ihrer Nähe über Boden, Tische und Bänke. Wo blieb nur Poosah?
Endlich spürte sie eine tastende
Hand, dann schob sich das Mädchen auf sie. Zwei kleine Arme schlossen sich um
ihren Hals. Saïna krabbelte auf Händen und Knien über den Boden. Bei ihrer
Ankunft war trotz der bemalten Fenster noch ein wenig Licht eingefallen.
Deswegen glaubte sie zu wissen – hoffte zu wissen –,
dass sie sich längs der Theke zu ihrer Linken bewegte. Der Zugang zu dem Bereich
dahinter musste nach ihrer Erinnerung etwa zehn Schritte vor ihnen liegen.
Vorsichtig krabbelte sie weiter.
Poosah auf ihrem Rücken zitterte heftig. Heiß blies der Atem der Kleinen in
ihren Nacken. In der Finsternis waren Saïnas Erinnerung und ihr Tastsinn ihre
einzige Orientierung. Während sich der Lichtkegel hinter ihr unaufhaltsam der
Sitznische näherte, in der sie noch vor einer Minute gesessen hatte, versuchte
sie fieberhaft, die Entfernung zu schätzen, die sie bereits zurückgelegt hatte.
War sie vielleicht schon über das
Ziel hinaus? Bemüht, auf keinen Fall das Gleichgewicht zu verlieren, streckte
sie vorsichtig den Arm nach links.
Nichts.
Hinter ihr schwang der Lichtkegel
von einer Seite zur anderen.
Sie krabbelte ein wenig weiter
und tastete erneut vor sich, dann ein wenig nach links, ein wenig nach rechts.
Schon wollte sie die Hand wieder zurückziehen, als sie voller Schrecken einen
Widerstand fühlte.
Hitze prickelte über ihr Gesicht,
und sie spürte, wie sich an ihrem Haaransatz kleine Schweißperlen bildeten. Ihr
Ärmel musste sich in etwas verfangen haben.
Verzweifelt warf sie einen Blick
hinter sich. Das Licht der Taschenlampe. Nur noch wenige Sekunden, dann musste
der Mann geradezu über sie
Weitere Kostenlose Bücher