Asylon

richtete.
Er ließ sich seinen Rucksack geben und förderte aus einer kleinen Seitentasche
sein Nazar zutage.
    Jack lächelte.
    »So was kann man auch fälschen«,
brummte der Maskierte.
    »Glaub von mir aus, was du
willst«, entgegnete Torn. »Ich hab nicht um eure Gesellschaft gebeten. Lasst
mich einfach gehen. Ich hab hier was Wichtiges zu erledigen.«
    »Aha«, sagte Jack. »Und das
wäre?«
    »Ich hatte eine Frau in … in
Asylon. Sie war schwanger, doch sie haben unser Kind gestohlen und es nach
draußen geschleust. Sie hat es mir gesagt, aber ich hab ihr nicht geglaubt.«
    Er erzählte von Yvette und von
dem Kind. Jack sah ihn betroffen an. Dann klopfte er ihm mitfühlend auf die
Schulter.
    »Diese Schweine«, murmelte er.
    »Ich weiß, wo das Kind sein
könnte«, meldete sich der Maskierte überraschend wieder zu Wort. Offenbar hatte
er sein Misstrauen Torn gegenüber endlich überwunden, denn er steckte die
Pistole weg und nahm mit einem tiefen Seufzen die Maske ab, unter der die recht
jugendlichen Züge eines Latinos zum Vorschein kamen. »Es gibt ein Zentrum für
Adoptionen. Heißt Nobility oder so ähnlich.« Er schniefte und rieb sich die
Nase, bevor er fortfuhr: »Die haben ihre Büros zufällig in dem Hochhaus, in dem auch SecuCorp seine Zentrale unterhält. Liegt in Downtown.«
    Torn war von der Nachricht wie
elektrisiert. Wenn er ehrlich gegenüber sich selbst war, musste er sich eingestehen,
dass er seine Suche bis zu diesem Zeitpunkt für hoffnungslos gehalten hatte.
    Plötzlich war von einer der Wände
her ein dumpfes Pochen zu hören. Jack sprang auf, ging zur vorderen Wand und
drückte einen kleinen Schieber beiseite. Es handelte sich um eine Öffnung zur
Fahrerkabine. Der Motorenlärm wurde deutlich lauter.
    »Was ist los, Steuermann?«, rief
Jack durch die Öffnung.
    »Du wirst es nicht glauben«,
ertönte die Stimme des Fahrers, »aber im Polizeifunk ist gerade von einem zweiten
Grenzübertritt die Rede.«
    »Weißt du wo?«, rief Jack
sichtlich erregt.
    »Ja. Sie haben die Koordinaten
eben durchgegeben.«
    »Dann los. Vielleicht schaffen
wir’s vor den Bullen!«
    »Alles klar«, ertönte es von
vorn.
    »Aber sei vorsichtig. Wir können
es uns nicht leisten, angehalten zu werden«, schärfte Jack dem Mann ein.
    Dann schloss er die Öffnung
wieder, setzte sich zu Torn und blinzelte ihm aufgekratzt zu.
    »Große Zeiten, mein Freund«,
sagte er.

18
    Misstrauisch fixierte
Lieutenant John Wynton, Kommandeur der SWAT -Einheit des LAPD ,
den riesenhaften Kopf des Tyrannosaurus Rex, der kaum zwei Meter über ihm
schwebte. Wie Zyklopenbrauen wölbten sich gewaltige Knochenbögen über den
erstaunlich kleinen gelben Reptilienaugen. Das weit geöffnete Maul und die
gebückte Haltung ließen es so aussehen, als würde der Dinosaurier jede Sekunde
angreifen.
    Gedankenvoll strich Wynton über
die Flanke des T-Rex. Er hatte nie gewusst, dass die Tiere so auffallend
gefärbt waren. Auf den Bildern in seinem Schulbuch waren sie unauffällig grau
gewesen. Doch die grellen weißroten Streifen des Exemplars vor ihm waren selbst
im fahlen Mondlicht gut zu erkennen, auch wenn die Farbe an einigen Stellen
bereits abgeplatzt war.
    Er ging um den massigen Körper
herum. Auf der Nordseite hatte der Zahn der Zeit wesentlich heftiger an der
Skulptur genagt. Staub und Regen der letzten zwanzig Jahre hatten dort einen
schmutzigen Moosbelag entstehen lassen.
    Die Stimme seines Assistenten
riss Wynton aus seiner stillen Betrachtung. »Sir, das Team ist jetzt vollständig
angetreten und wartet auf Ihre Befehle!«
    Wynton nickte knapp und strich
sich den Schnurrbart glatt. Eine Geste, an der enge Kollegen üblicherweise
seinen Tatendurst erkannten. Dann wandte er sich mit einer schwungvollen
Drehung seiner Einheit zu. In drei sauberen Reihen waren etwa achtzig Männer
und Frauen in nachtschwarzen Kampfanzügen, Helmen, Kevlar-Westen und schweren
Stiefeln vor ihm angetreten. Die meisten waren mit M4-Karabinern, einige aber
auch mit Schrotflinten bewaffnet. An allen Gurten war die übliche Ausrüstung
angebracht: neben Taschenlampe und Handschellen auch Blend- und Gasgranaten
sowie zwei Pistolen. Bei Letzteren handelte es sich um ein den Spezialeinheiten
vorbehaltenes Modell, das die berüchtigten Hohlspitzprojektile verschoss, die
besonders verheerende Verletzungen verursachten. Wynton nickte zufrieden und
gönnte seinem Schnurrbart eine weitere Streicheleinheit.
    »Männer!«, begann er seine
Lagebesprechung mit dem