Asylon
Gesicht
eingerahmt von einem Feuerkranz.
»Wie konnte das passieren?« Seine
Stimme klang seltsam gedehnt in seinen eigenen Ohren. Alles um ihn herum – der
Arzt, der Flur, das schmutzige Linoleum des schwankenden Bodens – war auf
einmal meilenweit entfernt.
»Ich habe keine Ahnung. War Ihre
Gattin möglicherweise suizidal veranlagt?«
»Suizidal veranlagt …?« Das
Gefühl der Betäubung wich einem schwelenden Zorn. »Was redest du da, du
dämlicher Affe? Natürlich war meine Frau schwer traumatisiert. Ich meine,
immerhin hatte sie gerade eine Fehlgeburt erlitten. Wusstest du übrigens, dass
sie meinte, dass man ihr das Kind gestohlen hat?«
»Das ist ja völliger Unsinn!«,
spie der Doktor mit plötzlicher Erregung aus. »Schon daran können Sie erkennen,
wie verwirrt sie gewesen ist. Und ich … Ich verbitte mir ihren anzüglichen Tonfall!«
Torn riss die Pistole wieder hoch
und sah, wie die nackte Angst in den Augen des Mannes zurückkehrte.
Schneidender Grimm ergriff Besitz von ihm und benebelte seine Sinne. Ein roter
Schleier breitete sich über die Welt.
»Innerhalb der letzten vierundzwanzig
Stunden sind in deinem Laden hier mein Kind und meine Frau ums Leben gekommen«,
zischte Torn dem Arzt ins Gesicht. »Ich glaube nicht, dass du in der Position
bist, dir irgendetwas zu verbitten.«
Der Arzt hüstelte trocken. Torn
spürte, wie sein Zeigefinger ein Eigenleben entwickelte. Das Bedürfnis, einfach
den Abzug zu drücken und ein Loch durch diese ausgezehrte Maske des Todes zu
jagen, wurde nahezu unwiderstehlich.
»Waffe runter, Masterleveller
Gaser!«
Die Stimme seines Erzfeindes
dicht hinter ihm holte Torn auf den Boden der Tatsachen zurück. Wieso tauchte
Rygor ausgerechnet jetzt hier auf? Dann fiel ihm die letzte Bemerkung des
Arztes gegenüber der Schwester ein, der er bislang keine Bedeutung zugemessen
hatte. Offensichtlich kannten sich die zwei. Nettes Paar.
»Waffe runter! Ich sag’s nicht
noch mal!«
»Sonst was?«, fragte Torn ohne
sich umzudrehen. »Pustest du mich dann um? Tu mir ’nen Gefallen, nimm ein
großes Kaliber, damit es für deinen weiß bekittelten Freund hier auch noch
reicht.«
»Halt die Klappe, Arschloch!
Meinst du wirklich, ich hätte irgendwelche Skrupel, dich umzulegen? Vergiss
nicht: keine Privilegien mehr. Sogar der alte Vanderbilt scheißt jetzt auf
dich. Wurde auch Zeit, wenn du mich fragst.«
Torn wusste, dass Rygor recht
hatte, und er war noch nicht bereit zu sterben. Nicht durch Rygors Hand. Langsam
ließ er den Hahn einrasten und hob beide Hände über den Kopf.
»Schnappt ihn euch!«
Vier kräftige Hände packten seine
Arme und rissen sie so heftig nach hinten, dass sie fast aus den Schultergelenken
sprangen.
5
»Kommt rein, ihr zwei
Süßen!«
Allein schon Radus freundliche,
volle Stimme zu hören war Balsam für Saïnas Seele. Sie schob Poosah vor sich
her in die winzige Wohnung. Nach Lynn war Radu immer ihre beste Freundin
gewesen. Sie lebte nicht weit von ihnen in einem einzigen Raum, der zugleich
Küche, Bad, Wohn- und Schlafzimmer war und den sie sich mit ihrem kleinen Sohn
Hank teilte. Kaum hatte Poosah Hank in der Ecke erblickt, in der er mit seinen
Spielzeugen hockte, stürzte sie auch schon auf den schmächtigen Jungen zu.
Solange Saïna die beiden Kinder kannte, waren sie immer wie Pech und Schwefel
gewesen. Bald hörte man aus der Ecke nur noch fröhliches Gelächter.
Saïna atmete tief durch und war
froh, zumindest vorübergehend nicht mehr von Poosahs bohrenden Fragen nach
ihrer Mutter bedrängt zu werden. Radu würde Poosah für einige Tage bei sich
aufnehmen, während Saïna im Krankenhaus ihre Schichten fuhr. Nachdem Radu
erfahren hatte, dass Hank an einer besonders schweren Form von Epilepsie litt,
hatte sie ihre Arbeit als Köchin im St. Niclas aufgegeben, um sich nur noch um
den Kleinen zu kümmern. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie, indem sie der Nachbarschaft
ihre köstlichen selbstgekochten Suppen verkaufte. Ein riesiger Kessel davon
brodelte auf dem Herd und verbreitete seinen würzigen Duft im Zimmer.
»Musst du gleich weiter, oder
hast du noch Zeit für einen Kaffee?«
»Von deinem leckeren Muckefuck?
Die Zeit nehm ich mir.«
Saïna setzte sich an den kleinen
Holztisch, während Radu zum Herd ging, um schließlich mit zwei Bechern und
einer zerbeulten Zinnkanne wiederzukehren. Wie jedes Mal, wenn sie bei ihr war,
konnte Saïna nicht umhin, ihre Freundin heimlich zu bewundern. Mit ihrem
hübschen Gesicht, den
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