Asylon
bemerkt hast.«
Er seufzte und schenkte ihr einen
müden Panther-hinter-tausend-Stäben-Blick. Dann wühlte er in seiner Beintasche.
»Hier ist etwas, das du haben solltest. Ich habe keine Ahnung, ob es irgendeine
Bedeutung hat, aber es lag neben der Leiche deiner Freundin, als wir sie an der
Grenze gefunden haben. Ich hab es eingesteckt, bevor Rygor hinzukam, ohne
eigentlich zu wissen, warum. Dann habe ich vergessen, dass ich es überhaupt
hatte. Erst als ich von Scooters niedergefackelter Behausung zurückkam, ist es
mir wieder eingefallen. Ich finde, du solltest es haben. Vielleicht hilft es
dir irgendwie.«
Er streckte die Hand aus. Darauf
lag etwas kleines Blaues. Mit spitzen Fingern, peinlich darauf bedacht, seine
Hand nicht zu berühren, nahm sie den Gegenstand und betrachtete ihn neugierig.
»Das ist ein Nazar Boncugu!«,
rief sie aus.
»Ein was?«
»Eine Blickperle. Sie stellt ein
blaues Auge dar. Im Orient galten Menschen mit blauen Augen als Unglücksbringer.
Man dachte, sie hätten den bösen Blick. Den konnte man abwehren, indem man
ihnen selber ein blaues Auge entgegenhielt. Deswegen trugen viele Leute dort so
ein Amulett.«
»Kannst du dir vorstellen, warum
sie so was dabeihatte?«
»Nun ja …« Saïna grübelte. »Wenn
man in ein Minenfeld läuft, hat man einen Schutzzauber sicher dringend nötig,
oder?«
»So was in der Art hab ich mir
schon gedacht. Scheint ihr allerdings nur wenig genutzt zu haben.«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß nicht. Sie hatte einen Hang zur Mystik. Vielleicht war es wirklich
einfach nur ein Glücksbringer.«
Er sank zurück in das
Sesselpolster. »Hm.«
Eine Weile lang saßen sie
schweigend da. Doch Saïna war mit ihren Gedanken längst woanders. Zwar war sie
noch lange nicht bereit, ihm sein ruppiges Verhalten am Morgen zu verzeihen,
aber irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie ihm etwas schuldig war. Immerhin
hatte er ihr das Nazar gebracht. Sie gab sich einen Ruck.
»Ich glaube, ich hab dir auch was
zu erzählen«, begann sie vorsichtig.
Er zog die Augenbrauen hoch und
rückte an den Rand des Sessels. »Ich bin ganz Ohr.«
So ausführlich wie möglich
berichtete sie ihm von ihrer Begegnung mit Yvette und wie sie sie später anhand
der Fotos in seiner Wohnung identifiziert hatte. Er saß auf einmal senkrecht im
Sessel. »Das hättest du mir sofort sagen müssen.«
Sofort stieg Saïna das Blut ins
Gesicht. »Wann? Etwa nachdem du mich aus deiner Wohnung geworfen hast, als wäre
ich irgendeine billige Nutte?«, brauste sie auf.
Er kniff gequält die Augen
zusammen. »Sorry. Wie gesagt, ich war nicht gerade mein bestes Selbst. Schieb’s
auf meinen Alkoholpegel.«
»Ach, und ich hatte schon
gedacht, du bist mir in hemmungsloser Leidenschaft verfallen.«
Er zuckte in einer hilflosen
Geste mit den Schultern.
»Und wegen so was habe ich meinen
Job aufs Spiel gesetzt und verloren«, grummelte sie.
»Wie darf ich das verstehen?«
Saïna holte tief Luft und
verordnete sich selbst etwas mehr emotionale Souveränität. Dann erzählte sie
ihm von ihren Erlebnissen in Grosses Büro. Je mehr sie berichtete, desto
aufgewühlter schien er ihr. Schließlich hielt es ihn nicht mehr in dem Sessel.
»Mein Gott, Yvette hatte recht!«
Er begann, vor dem Sessel auf- und abzuwandern »Sie stehlen Kinder. Sie haben
auch unser Kind gestohlen, um es an irgendwen zu verschachern. Deswegen musste
sie sterben. Und ich habe ihr kein Wort geglaubt. Sie hat mich angefleht, ihr
zu glauben, und ich habe sie im Stich gelassen.«
»Kommt mir bei dir irgendwie
bekannt vor«, murmelte Saïna, aber er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt,
um es zu bemerken.
»Zeig mir die Koordinaten«,
verlangte er.
Sie hob die Hand, in deren
Handfläche sie alles notiert hatte.
»Das ist irgendwo in der Stadt«,
stellte er grimmig fest.
Er notierte sich alles in einem
kleinen Notizbuch, das er aus seiner Beintasche fischte.
»Was bedeutet der letzte Teil?«
»Das ist eine Null.«, antwortete
Torn »Und AGL bedeutet Above Ground Level. Die Stelle ist irgendwo am Grund der Stadt,
wahrscheinlich in einem der ursprünglichen Gebäude.«
»Was wirst du jetzt tun?«, fragte
sie.
»Keine Ahnung. Aber ich werde
dort sein, auf jeden Fall. ›Mrs. G.‹ Mein Name ist Torn Gaser. Es handelt sich
vielleicht um mein Kind.«
»Hältst du das für eine gute
Idee? Vielleicht solltest du dir lieber Verstärkung holen. Ich meine, nur für
den Fall, dass dieser Rygor da auch mit drinhängt. Denn
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