Asylon
aus konnte es auch so bleiben. Irgendwann
innerhalb der nächsten halben Stunde würde Radu Poosah vorbeibringen. Dann
würde Saïna einiges erklären müssen, aber bis dahin würde sie einfach nur hier
in der Dunkelheit sitzen und ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Sie atmete tief
durch, während ihr die Tränen über die Wangen liefen.
»Entschuldigung.«
Saïnas Herz setzte einen Schlag
aus. Instinktiv griff sie hinter sich nach dem Schalter der kleinen Standleuchte,
die sofort aufflammte.
Er hatte wohl die ganze Zeit in
dem abgenutzten Sessel gegenüber dem Sofa gehockt. Er, der Kerl, neben dem sie
am Morgen erwacht war. Torn … irgendwas. Ärgerlich wischte sie sich die Tränen
vom Gesicht.
»Was hast du hier zu suchen?«,
fauchte sie.
Statt ihr eine Antwort zu geben,
suchte er mit seinen Blicken den Raum ab. Doch offensichtlich waren seine Bemühungen
nicht von Erfolg gekrönt, denn ein paar Augenblicke später fragte er: »Hast du
hier irgendwas zu trinken? Du siehst aus, als könntest du was vertragen.«
Sie schüttelte trotzig den Kopf.
»Ich trinke nicht mehr. Verstärkt meine Neigung zu katastrophalen Fehlentscheidungen.«
»Oh.« Er zog die Augenbrauen hoch
und nickte langsam. »Verstehe.«
Saïna stand auf, wandte ihm den
Rücken zu, begann die Sachen aufzuheben, die sie eben hatte auf den Boden fallen
lassen, und ordnete sie auf dem Couchtisch. In der Nebenwohnung schimpfte Tranh
in seinem meckernden Tonfall irgendeines seiner Kinder aus.
»So, nachdem wir das also geklärt
hätten«, sagte sie über die Schulter hinweg, »kannst du dich jetzt verpissen.«
Wütend stopfte sie gebrauchte Unterwäsche in einen Leinensack.
»Scooter ist tot.«
Saïna hielt sofort inne. Dann
drehte sie sich langsam um.
»Sie haben ihn in seinem
Container abgefackelt, draußen auf der alten Autobahnbrücke im Westen«, fuhr er
fort, den Blick fest auf sie gerichtet. »Ich habe seine verkohlten Reste
gesehen. Wenn ich seine Körperhaltung richtig interpretiere, ist er bei
lebendigem Leib verbrannt.«
Saïna stolperte mit weichen Knien
rückwärts zum Sofa und fiel eher in die Polster, als dass sie sich setzte. Sie
war fassungslos.
»Wer?«, stieß sie hervor. Ihr
Mund fühlte sich völlig ausgetrocknet an.
»Ich vermute, einer von Rygors
Pudeln oder beide. Sie müssen ihn dorthin gebracht haben, nachdem sie ihn im
Polizeikeller aufgegriffen haben, als er dort von dir ablenken wollte. Sicher
haben sie ihn vorher verhört und … gefoltert.« Er legte die Hände vors Gesicht
und schüttelte langsam den Kopf, als könne er es selbst noch nicht fassen.
Saïnas schlechtes Gewissen regte
sich. »Hör zu, es tut mir wirklich leid. Er war ’n echt guter Kerl. Aber ich
schwöre, er hat da unten seine eigene Entscheidung getroffen. Ich meine … Alles
ging so schnell. Ich hätte nicht einmal widersprechen können, selbst wenn ich gewollt
hätte.«
Er nahm die Hände von seinem
Gesicht. Täuschte sie sich, oder glänzten seine Augen feucht? Sein Mund verzog
sich zu einem gequälten Lächeln. Er sog die Luft durch die Zähne ein, bevor er
sagte: »Ich weiß, dass es nicht deine Schuld ist. Scooter hat immer seine
eigenen Entscheidungen getroffen. Weiß Gott. Nicht einmal auf mich hat er
gehört, wenn ihm irgendwas wichtig war. Er war so ein verdammt sturer Bock.«
Vor seinem geistigen Auge schienen irgendwelche Erinnerungen abzulaufen, und er
schüttelte grinsend den Kopf. »Na, jedenfalls wollte ich mich entschuldigen,
falls ich mich so angehört habe, als würdest du irgendwelche Verantwortung
dafür tragen, dass er von Rygor geschnappt wurde. Das war nicht fair. Aber …
Ich war ziemlich neben der Spur, wegen allem, was so passiert ist, meiner Frau
und meinem Kind, verstehst du?«
Saïna versuchte, irgendeine Form
akustischer Zustimmung zustande zu bringen, ohne selbst wiederum in Tränen
auszubrechen, aber ihr gelang nur ein unbestimmtes Grunzen.
Er lehnte sich zurück und faltete
die Hände auf dem Kopf. »Als ich da vor seiner Leiche stand, ist mir so einiges
durch die Birne gegangen.« Er richtete den Blick auf die fleckige Decke über
ihnen. »Offensichtlich hat auch Rygor irgendein seltsames Interesse an der Leiche
deiner Freundin. Und das bedeutet, dass du recht haben könntest; an der Sache
ist irgendwas faul, und Rygor scheint etwas darüber zu wissen.«
Saïna empfand ein wenig
Genugtuung, aber sie war noch lange nicht bereit, von ihrem Groll ihm gegenüber
loszulassen. »Schön, dass du das auch schon
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