Asylon
lehnte die Tür an. Aus Gründen, die sie selbst nicht
benennen konnte, war es ihr lieber, wenn Radu nichts mitbekam.
Draußen vor der Wohnung tropfte
das Kondenswasser von den wilden Leitungen, die die Decke säumten wie ein metallenes
Adergeflecht. Kleine Pfützen schimmerten gelblich im Licht der spärlichen
Beleuchtung. Ein warmer, stickiger Mief lag in der Luft.
»Was ist?«, fragte Torn.
Saïna suchte nach der richtigen
Einleitung, aber ihre Bitte wollte ihr nicht über die Lippen.
»Hör mal«, meinte Torn
schließlich, »wegen dem, was da zwischen uns war … Oder eben nicht war … Ich
kann verstehen, wenn du irgendwie … sauer bist, aber vielleicht können wir ja
trotzdem Freunde sein.«
»Freunde?«, brauste Saïna auf.
»Du hast wirklich ein atemberaubendes Talent dafür, die richtigen Worte zu
finden. Eigentlich wollte ich dich nur fragen, ob du mir bei den Recherchen in
der Bar helfen kannst. Aber ich schätze, dafür suche ich mir lieber jemanden
mit ein bisschen mehr Rückgrat.«
Wütend ließ sie den verblüfften Mann
stehen und warf ihre Wohnungstür hinter sich zu, dass es krachte.
Drinnen empfing Radu sie mit dem
spöttischsten Lächeln seit der Erfindung des Aprilscherzes.
»Halt jetzt bloß die Klappe«,
waren Saïnas letzte Worte, bevor sie in ihrem Schlafzimmer verschwand.
Zwei Stunden später war
Torn an seinem Ziel angelangt, immer auf der Hut vor Gangmitgliedern, die
wahrscheinlich längst alle hinter ihm her waren, um sich für irgendwelche alten
Geschichten zu rächen. Doch es war ihm gelungen, unbeschadet auf der untersten
Ebene anzukommen. Sicher würde es nicht leicht sein, als ehemaliger Leveller
Vanderbilt davon zu überzeugen, einen Durchsuchungsbeschluss für das St. Niclas
auszustellen. Doch wenn er mehr Licht in die Geschehnisse um Yvettes Tod
bringen wollte, musste er darauf bauen, dass er Vanderbilts Gunst noch nicht
gänzlich verspielt hatte. Vielleicht würden ihn die Verdachtsmomente, die Torn
gegenüber Rygor hegte, ja erweichen. Die beiden pflegten schon seit langer Zeit
eine Art hassgeprägte Symbiose. Auf irgendeine obskure Art schien Vanderbilt
jedoch von Rygor abhängig zu sein. Vielleicht konnte ihm Torn helfen, den
Mistkerl endlich loszuwerden.
Mit lautem Krachen klappte das
Eisentor hinter Torn zu. Eine scheinbar endlose Weile hallte das Geräusch nach,
von Sekunde zu Sekunde mehr von seiner Kraft einbüßend, bis es schließlich
erstarb.
Der Gouverneurspalast.
Eigentlich das Kellergewölbe
eines nicht mehr existierenden Monumentalbaus der Urstadt. Ein flächiges, doch
recht niedriges Kreuzrippengewölbe, an das ringsum hinter schweren, hölzernen
Kassettentüren die Arbeitsräume der Angestellten angrenzten. Irgendjemand hatte
Torn erzählt, dass der Keller in alten Zeiten einmal eine Zisterne gewesen war.
Tatsächlich schwängerte der mineralische Duft von verwitterndem Gestein die
Luft.
Noch bei seinem letzten Besuch
war der Raum vom geschäftigen Treiben der Verwaltungsangestellten erfüllt
gewesen, die den Saal fortwährend von hier nach dort kreuzten, um zu ihren
Kollegen in den anderen Büros zu gelangen. Damals hatten gewaltige Samtvorhänge
den Wänden eine wärmere Atmosphäre verliehen. Zwei Jahre mochte das her sein.
Diesmal jedoch war es totenstill.
Niemand war unterwegs. Die Vorhänge waren verschwunden und hatten den nackten
Ziegelstein der Mauern bloßgelegt. Torn fröstelte. Durch die Feuchtigkeit war
es hier unten deutlich kühler als in der Stadt darüber. Säulen durchzogen den
Saal, hier und dort waren Gaslämpchen angebracht, zumeist in kleinen Nischen,
die man nachträglich in das Säulengeviert gehauen hatte. Sie tauchten den Saal
in ein träges Dämmerlicht.
Torn nahm in forschem Trab die
ersten Stufen der kleinen Treppe, die ihn auf das Bodenniveau des Saals hinabführte.
Laut hallte das Klack-klack seiner Absätze durch die Weite des Raums und wurde
von den Säulen mal hierhin, mal dorthin geworfen; bald klang es, als ob ein
geisterhaftes Heer durch den Keller marschierte. Der immer heftiger
anschwellende Klangteppich verwirrte seine Sinne. Er hielt für einen Moment
inne, um die Geräusche zur Ruhe kommen zu lassen. Dann setzte er seinen Weg mit
leiserem Tritt fort.
Weit hinten auf der anderen Seite
des Saals war die dunkle Fläche des Portals zu sehen, hinter dem sich die Räume
des Gouverneurs befanden. Aus Torns Perspektive schien ein schier endloses
Spalier von Säulen den Weg dorthin zu säumen, wie eine düstere
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