Aszendent Blödmann
Jahre hatte ich auf diesen Moment gewartet. Das sollte reichen. Ähnlich lange hatte mich noch nicht einmal die Telekom mit der Einrichtung meines ISDN-Anschlusses hingehalten …
Kurz darauf vernahm ich aus dem Inneren des Hauses ein lautes Poltern, gefolgt von Schritten, die sich rasch näherten. Kai riss erst die Tür und dann erstaunt die Augen auf. Keine Ahnung, wen er erwartet hatte – die Zeugen Jehovas oder Kai Pflaume von Nur die Liebe zählt –, aber mich ganz sicher nicht.
»Ist was passiert?«, fragte er sichtlich besorgt.
Noch nicht. Und genau darin bestand das Problem. Denn ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie ich es anstellen sollte, Kai zu verführen. Bislang hatte ich mich mehr auf das Nachspiel konzentriert. Während der Fahrt zu ihm hatte ich mir ein ums andere Mal vorgestellt, wie ich, nachdem wir miteinander geschlafen hatten, einfach aufstehen und gehen würde. War nett mit dir. Und tschüss … Vor allem Kais ungläubigen Gesichtsausdruck hatte ich mir dabei bis ins kleinste Detail ausgemalt – den halb offenen Mund, die großen staunenden Augen und die steile Falte, die sich auf seiner Stirn bildete, wenn er etwas nicht verstand. Dabei hatte ich das Gefühl des Triumphes in vollen Zügen ausgekostet. Vielleicht würde ich sogar noch eine abfällige Bemerkung über seine Qualitäten als Liebhaber fallen lassen, um meinem Abgang die nötige Würze zu verleihen. Aber das würde ich spontan entscheiden.
Nun galt es erst einmal, das Vorspiel einzuleiten. Und genau dieser Punkt bereitete mir Kopfzerbrechen. Es gab so viel, das zwischen uns stand. Angefangen bei zwei Paar Jeans sowie diversen anderen Kleidungsstücken. Wie sollte ich den Kerl bloß aus seinen Klamotten rausbekommen? In meiner Fantasie war alles so einfach gewesen. Wie durch Zauberei hatten wir uns plötzlich nackt zwischen den Laken gewälzt.
Bevor ich in letzter Minute einen Rückzieher machen konnte, war es vermutlich das Beste, den Stier gleich bei den Hörnern zu packen. Also, zumindest im übertragenen Sinne … Auf in den Kampf! Das Objekt meiner Begierde war zum Greifen nahe.
Rasch machte ich zwei, drei hastige Schritte auf Kai zu, schlang meine Arme um seinen Nacken und zog seinen Kopf mit einem kräftigen Ruck zu mir herunter.
»Oh.«
Zum Glück leistete Kai kaum Gegenwehr. Andernfalls hätte ich ihm bei dem Versuch, ihn zu küssen, vermutlich das Genick gebrochen oder zumindest ein paar Wirbel ausgerenkt, denn ich war fest entschlossen, meine persönliche Vergangenheitsbewältigung an diesem Abend hinter mich zu bringen. Während ich Kais Kopf wie ein Schraubstock umschlossen hielt, suchte ich mit meinen Lippen nach seinem Mund. Schnell wurde ich fündig. Nach einem kurzen, kaum merklichen Zögern erwiderte er meinen Kuss mit der gebotenen Begeisterung. Seine Lippen, die meine liebkosten, waren überraschend weich, seine Küsse zärtlich und gefühlvoll.
Hey, Moment mal! Die weichgespülte Blümchensex-Nummer mit endlosen Streicheleien vorher und stundenlangem Gekuschel nachher war nicht das, wonach mir der Sinn stand. Ich wollte lieber gleich zur Sache kommen und es wild und leidenschaftlich mit ihm treiben. Im Schleudergang. Höchste Zeit, ein bisschen auf die Tube zu drücken und das Tempo zu erhöhen!
Doch während ich Gas gab, latschte Kai auf die Bremse. »… vorher miteinander reden«, nuschelte er zwischen zwei leidenschaftlichen Küssen. Der Anfang des Satzes – sofern es überhaupt einen gegeben hatte – war irgendwo zwischen meinen Haaren und meiner Halsbeuge abhandengekommen.
»Reden? Was gibt’s denn noch zu reden?«, fragte ich ungeduldig. Dieser Kerl machte mich echt wahnsinnig!
»Na, über uns zum Beispiel. Und was ist mit Conrad?«
Kai war so ziemlich der skrupelloseste Mensch, der mir je untergekommen war. Aber mit der Freundin seines Chefs zu schlafen schien selbst für ihn eine Nummer zu groß zu sein.
»Conrad und ich sind nicht mehr zusammen«, erklärte ich knapp. Konnten wir jetzt bitte endlich zur Sache kommen?!
»Und du … und ich«, begann Kai erneut.
Meine Güte, was sollte das werden? Ein Kaffeekränzchen?! Wenn es etwas gab, das Männer noch mehr hassten als Urlaubskarten schreiben oder shoppen, dann war es reden. Männer wollten nie reden. Schon gar nicht über so komplizierte Dinge wie sich selbst oder über Beziehungen. Nichts gegen emanzipierte Kerle. Wenn sie den Putzlappen schwingen oder Gurkenmasken auflegen wollten – nur zu! Aber quasseln statt Sex, das
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