Aszendent Blödmann
Ihren Einsatz und Ihr Engagement zu bedanken.« Eine Welle der Sympathie schlug Conrad entgegen. Wie immer war es ihm gelungen, die richtigen Worte zu finden. »Seit seiner Gründung hat das Hotel stürmische Zeiten durchlebt, und es gab viele Hindernisse zu umschiffen.« Während Conrad ein paar Eckdaten aus der Chronik des Familienunternehmens in seine Ansprache einflocht, versuchte ich, unter den Gästen Kai zu erspähen.
»Ich hasse lange Reden, und ich will Sie auch nicht allzu sehr langweilen, aber erlauben Sie mir trotzdem noch ein paar persönliche Worte. Bedauerlicherweise bin ich nicht mehr der Allerjüngste.« Conrads letzter Satz wurde mit launigen Bemerkungen und Protest aus der Menge quittiert. »Danke, danke«, fuhr Conrad fort, als wieder Ruhe eingekehrt war. »Aber ich denke, ein Kapitän sollte wissen, wann es an der Zeit ist, das Ruder abzugeben und das Kommando Jüngeren zu überlassen. Deshalb habe ich mich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, die Hotelleitung in die Hände meiner Tochter Ilka zu legen. Ich bin sicher, sie wird das Wallemrath Hotel in meinem Sinne weiterführen und für frischen Wind sorgen.«
Conrad schien frischen Wind mit einem eisigen Luftzug zu verwechseln. Die Nachricht, dass Ilka von nun an als Direktorin die Geschicke des Wallemrath Hotels lenken würde, wurde mit verhaltenem Applaus aufgenommen. Die Euphorie hielt sich in Grenzen. Immerhin wurden keine faulen Eier oder Tomaten geworfen. Wir alle würden Conrad als Boss schmerzlich vermissen. Wenn Ilka ihrem Vater auch nur ansatzweise das Wasser reichen wollte, musste sie sich ordentlich ins Zeug legen.
»So, und nun habe ich noch eine Neuigkeit zu verkünden. Melina, kommen Sie …«, Conrad brach mitten im Satz ab und lächelte verschmitzt, »wie gut, dass ich ab heute nicht mehr der Boss bin, endlich darf ich meine ehemaligen Mitarbeiter duzen. Melina, kommst du bitte mal zu mir nach vorne?«
Ich? Wieso ich? So eine große Sache war die Beförderung nun auch wieder nicht. Widerstrebend kletterte ich zu Conrad und Ilka auf die Bühne. Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst. Warum tat Conrad mir das an? Er wusste doch, wie sehr ich es hasste, im Mittelpunkt zu stehen. Conrad griff nach meiner Hand, die vor Aufregung ganz feucht war, und drückte sie beruhigend.
»Liebe Melina«, begann Conrad feierlich, ohne mich dabei loszulassen. »Die letzten Wochen waren ausgesprochen turbulent, manches ist schiefgelaufen, und immer wieder gab es Momente, in denen wir gedacht haben, wir schaffen es nicht. Nun hat doch alles ein gutes Ende gefunden.« Conrad griff suchend in die Tasche seines Jacketts, kurz darauf blitzte in seiner rechten Hand etwas auf. Ich erkannte ihn sofort: den Schlüssel zum Kinderparadies. »Deshalb möchte ich dich fragen: Melina, willst du …«
»Neeiiin!«, hallte es wie ein Pistolenschuss über den See. Alle Köpfe fuhren herum. Wenn jemand es gewagt haben sollte, während Conrads Rede ein kleines Nickerchen zu halten, so war er jetzt todsicher wieder wach. »Du darfst Conrad nicht heiraten, Melina, hörst du!« Mit einem leeren Glas in der Hand stand Kai neben der Champagnerpyramide. »Ich liebe dich! Es ist egal, von wem das Baby ist, und wenn du noch drei, ach, was sag ich, wenn du noch ein ganzes Dutzend anderer Kinder hättest, es wäre mir wurscht.«
Kai machte Anstalten, in Richtung Bühne zu laufen, aber er kam nicht weit. Plötzlich ging alles rasend schnell. Irgendwie musste Kai sich mit den Füßen in dem langen weißen Tischtuch verheddert haben, das über den Tisch mit der Champagnerpyramide drapiert war. Er stolperte, ging zu Boden und riss die Pyramide mit sich. Der kunstvoll aufgebaute Gläserturm stürzte innerhalb von Sekunden in sich zusammen wie ein marodes Kartenhaus. Ein unbeschreiblicher Tumult brach aus. Die Gäste, die sich in unmittelbarer Nähe befanden, stoben kreischend auseinander, um sich in Sicherheit zu bringen, der Champagner spritzte in alle Himmelsrichtungen, und die Gläser zerschellten auf den Steinfliesen der Terrasse. Mittendrin, in einem Meer aus Scherben, saß wie ein begossener Pudel Kai. Ein Champagnerbad hatte er sich vermutlich ein wenig anders vorgestellt …
In der Notfallambulanz herrschte an diesem Freitagabend reger Betrieb. Vor der Anmeldung hatte sich wie an einer Kinokasse bereits eine lange Schlange gebildet. Wussten die Leute denn nichts Besseres mit ihrer Freizeit anzufangen? Die kurze Fahrt in die Klinik hatten Kai und ich
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