Aszendent Blödmann
Charlotte, die nur auf dieses Stichwort gewartet zu haben schien. »Wir sind schon so lange zusammen, dass irgendwie alles Routine geworden ist. In jeder Sprudelflasche prickelt es mehr als in unserem Schlafzimmer. Wahrscheinlich sehnt Andreas sich nach Abwechslung. Ach, was rede ich denn, wahrscheinlich wäre er froh, überhaupt mal wieder Sex zu haben. Seit Ben auf der Welt ist, bin ich einfach viel zu müde dafür. Wir müssten es schon im Stehen miteinander treiben – und selbst dann würde ich vermutlich noch dabei einschlafen.«
»Mach dir mal nicht so viele Sorgen. Kein Wunder, dass dir im Moment der Sinn nicht nach heißem, hemmungslosem Sex steht. Die vielen durchwachten Nächte kosten Kraft, und das Stillen geht bestimmt auch ganz schön an die Substanz. Ich bin mir sicher, Andreas weiß, wie du dich im Moment fühlst. Nie im Leben würde er für eine Affäre eure Beziehung aufs Spiel setzen. Dafür ist er viel zu anständig und außerdem …«
»Anständig? Ach, papperlapapp«, fiel Charlotte mir ins Wort. »Es gibt zwei Sorten von Männern. Die einen gehen fremd, und die anderen sind tot. Warum sollte ausgerechnet Andreas die Ausnahme sein?«
»Weil … weil …« Also, wenn sie mich schon so direkt fragte … fiel mir auf die Schnelle leider nichts Überzeugendes ein. Natürlich hoffte ich von ganzem Herzen, dass Andreas über genügend Willensstärke und Körperbeherrschung verfügte, um sein bestes Stück im Zaum zu halten. Und zwar nicht nur aus Sorge um meine Freundin, sondern auch aus reinem Egoismus. All die Jahre waren die beiden für mich ein Vorbild gewesen. Der Inbegriff eines harmonischen und glücklichen Paares. Der lebende Beweis dafür, dass es so etwas wie eine (fast) perfekte Beziehung allen Unkenrufen und gescheiterten Ehen zum Trotz eben doch gab und dass es sich lohnte, auf den richtigen Partner zu warten! Sogar – wenn es wie in meinem Fall – ein paar Jährchen länger dauerte.
Natürlich flogen auch bei Charlotte und Andreas ab und zu die Fetzen – und wenn’s richtig zur Sache ging, flog auch mal eine Kaffeetasse oder ein Pantoffel. Aber wer an die Liebe glaubt, muss nicht zwangsläufig auch an Wunder glauben. So ein bisschen Zoff um die Hausarbeit oder die Schwiegermutter, davon war ich überzeugt, gehörte zu einer guten Beziehung dazu. Solange man hinterher gemeinsam darüber lachen konnte. So wie Charlotte und Andreas.
Um ihr Glück perfekt zu machen, hatten die beiden vor einem halben Jahr auch noch Ben bekommen. Eine echte Bilderbuchfamilie mit einem Häuschen im Grünen, einem Kredit bei der Sparkasse und einem selbst gemachten Tonschild an der Haustür. Herz, was willst du mehr? Das konnte Andreas doch jetzt nicht einfach so zerstören. Das konnte er uns nicht antun! An wem sollte ich mich denn dann noch orientieren? Außer Charlotte und Andreas kannte ich kein Paar, das meiner Vorstellung von der einen wahren großen Liebe im Leben auch nur annähernd das Wasser reichen konnte. Außer Romeo und Julia vielleicht oder Kate Winslet und Leonardo di Caprio in Ti t a n i c. Doch weder ein gemeinsamer Tod durch Gift noch ein Zusammenstoß mit einem Eisberg schien mir so ganz das Wahre zu sein.
Zum Glück waren Charlotte und Andreas quicklebendig und erfreuten sich bester Gesundheit. Obwohl sich das in Andreas’ Fall verdammt schnell ändern konnte, wenn Charlotte ihn tatsächlich beim Fremdgehen erwischen sollte. Auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass Andreas seine Frau betrog – meine Hand würde ich nicht für ihn ins Feuer legen. Denn schließlich wusste man nie, was sich hinter der Fassade eines Menschen für Abgründe auftaten.
Charlotte, die von meinen Gedanken glücklicherweise nichts ahnte, sah mich abwartend an. Richtig, ich war ihr noch eine Antwort schuldig.
»Du willst wissen, warum Andreas die Ausnahme ist? Weil er dich liebt, du Dummerchen«, erklärte ich in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ. Und weil ein Grund allein möglicherweise ein wenig dürftig klang, packte ich als Gratiszugabe noch einen zweiten obendrauf: »Außerdem habe ich das im Gefühl.«
Dass mein Gefühl mich – insbesondere bei Männern und bei den Lottozahlen – schon des Öfteren an der Nase herumgeführt hatte, musste ich in diesem Zusammenhang ja nicht noch einmal extra erwähnen.
Kapitel 3
A m nächsten Morgen strahlte die Sonne erneut höhnisch vom Himmel. Doch noch mal ging ich ihr ganz bestimmt nicht auf den Leim! Obwohl sich
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