Aszendent Blödmann
der San-Andreas-Graben.
Mit gesenktem Kopf schlich ich den Gang entlang zum Konferenzraum. So fühlte es sich also an, wenn man sich auf dem Weg zu seiner eigenen Hinrichtung befand. Die Präsentation, die meine große Chance war, mein Können unter Beweis zu stellen und Kai beim Kopf-an-Kopf-Rennen um den Abteilungsleiterjob zu überholen, drohte ein Fiasko zu werden. Ich verspürte ein eigenartig beklemmendes Gefühl in der Brust, gerade so, als hätte ich einen Tennisball verschluckt. Mit aller Kraft kämpfte ich gegen die Tränen an. Den Triumph, mich weinen zu sehen, gönnte ich Kai nicht. Das wäre für ihn vermutlich das i-Tüpfelchen gewesen, die Schokokekse zum Kaffee, das Sahnehäubchen auf dem Cappuccino, das letzte Quäntchen Genugtuung, das seinen Sieg perfekt gemacht hätte. Denn egal, wie man es auch drehte und wendete: Ohne die CD war ich geliefert. Ich konnte ebenso gut gleich nach Hause gehen und Kai zu seiner Beförderung gratulieren.
»Toi, toi, toi, du schaffst das«, flüsterte Conrad mir zu, der zufällig zur gleichen Zeit wie ich vor dem Konferenzraum eintraf.
Wenn der wüsste … Dummerweise hatte ich keine Gelegenheit mehr, Conrad von Kais mieser Sabotage zu erzählen, denn von drinnen winkte uns Ilka bereits ungeduldig herein. Und als wäre die ganze Situation nicht so schon schlimm genug, hatte sie Verstärkung mitgebracht: ihre Mutter, Susanne Wallemrath, Conrads Noch-Ehefrau und seit nunmehr fast zwei Jahren unangefochtener Spitzenreiter meiner wöchentlich aktualisierten Problemcharts.
Das Herz, das mir ohnehin bereits in die Hose gerutscht war, sank noch eine Etage tiefer. Ja, hatten wir denn schon Weihnachten?! Gewöhnlich ließ Susanne sich nur zur Weihnachtsfeier blicken, um den Mitarbeitern die obligatorische Sektflasche zu überreichen und ihnen ein frohes Fest zu wünschen. Ob Ilka ihr erzählt hatte, dass Conrad mit mir ein Verhältnis hatte? Oder hatte Kai sein Insiderwissen bereits über den Flurfunk oder die Lokalpresse publik gemacht? So oder so: Ich konnte mir vorstellen, dass Susanne nicht besonders erfreut darüber war, dass ich mir ihren Gatten nebst Bademantel unter den Nagel gerissen hatte. Ob sie gekommen war, um mir die Augen auszukratzen? Oder um sich an meiner Niederlage zu weiden?
»Lassen Sie sich durch meine Anwesenheit nicht stören«, erklärte Susanne in diesem Moment und lächelte freundlich. »Ich war gerade zufällig im Haus, um ein paar Dokumente zu unterschreiben, da hat unsere Tochter mir von dieser Präsentation erzählt. Ich bin schon sehr gespannt, was Sie sich für unser Hotel und unsere Gäste ausgedacht haben.«
Unsere Tochter, unser Hotel, unsere Gäste – für meinen Geschmack waren das ein bisschen zu viele Gemeinsamkeiten. Allerhöchste Zeit, dass endlich auch »unsere Scheidung« hinzukam.
»So, dann wollen wir mal loslegen«, gab Ilka den Startschuss für meine öffentliche Hinrichtung. »Wer beginnt?«
»Ladies first«, spielte Kai den Gentleman.
Eine Rolle, die ich ihm genauso wenig abkaufte wie die des hilfsbereiten Samariters. Wahrscheinlich konnte er es kaum erwarten mitzuerleben, wie ich ohne meine vorbereitete Präsentation mit Pauken und Trompeten untergehen würde. Insgeheim war ich trotzdem froh, dass er mir den Vortritt ließ. Umso schneller hatte ich die peinliche Vorstellung hinter mir. Ich atmete tief durch. Kopf hoch, Brust raus. Auch wenn die Voraussetzungen alles andere als ideal waren, musste ich versuchen, das Beste aus der Situation zu machen.
»Back to the roots«, flachste Conrad, als ich mich mit einem dicken schwarzen Edding in der Hand neben dem Flipchart postierte. Bei unseren Meetings kam der große Abreißblock auf Stelzen gelegentlich noch zum Einsatz, für Präsentationen gab es jedoch einen Beamer, mit dem die Daten direkt vom Computer aus ganz bequem auf eine Leinwand projektiert werden konnten. Eine schöne Sache – sofern man etwas zu zeigen hatte …
Ich räusperte mich, doch der Kloß in meinem Hals war hartnäckig. »Leider gab es eine technische Panne«, erklärte ich mit belegter Stimme. Dabei vermied ich es, in Kais Richtung zu sehen. Ein triumphierendes Glitzern in seinen Augen oder ein selbstgefälliges Grinsen hätten gereicht, und ich wäre ihm an die Gurgel gesprungen. »Ist aber nicht weiter tragisch«, versuchte ich mir selbst Mut zuzusprechen. »Auch im Computerzeitalter kann es nicht schaden, hin und wieder zu Stift und Papier zu greifen. Außerdem werden Sie gleich feststellen,
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