Aszendent Blödmann
einmal vor den Computer gesetzt, geschweige denn die Maus in die Hand genommen.
Wie viele seiner männlichen Geschlechtsgenossen schien auch Ben für Karrierefrauen wenig übrigzuhaben. Er dachte gar nicht daran, mich in Ruhe arbeiten zu lassen, und sabotierte meinen beruflichen Aufstieg nach Kräften. Schon beim Anblick seines Bettchens schrie der kleine Mann, als wollte ich ihn abmurksen. Vielleicht hatte er Bauchweh, bekam ein neues Zähnchen, oder er vermisste seine Mama oder, oder, oder … Irgendwann siegte die Müdigkeit aber doch. Obwohl er sich tapfer dagegen wehrte, fielen Ben die Augen zu.
Schnell stürzte ich an Andreas’ Laptop, schob die mitgebrachte CD ein und begann, meiner Präsentation den letzten Schliff zu verleihen. Eine echte Herausforderung. Denn jedes Mal, wenn es mir gelungen war, mich in die Materie einzuarbeiten, meldete Ben sich lautstark zu Wort.
Ich bekam eine vage Vorstellung davon, was es bedeutete, rund um die Uhr für ein Kind da sein zu müssen. Wer keine Möglichkeit hatte, seine Elterntauglichkeit am lebenden Objekt zu testen, konnte alternativ auch die halbe Nacht einen nassen Sandsack durch die Wohnung schleppen und dabei das Radio bis zum Anschlag aufdrehen. Aber bitte keine laute Musik – das wäre zu einfach! –, sondern dieses nervtötende Pfeifen, Knirschen und Rauschen, das man empfängt, wenn man das Programm nicht richtig reinbekommt. Denn das Schlimmste an Bens Schreierei war nicht etwa die Lautstärke, sondern die Frequenz, die durch Mark und Bein ging.
In meiner Verzweiflung versuchte ich es mit allen möglichen Tricks und Kniffen, sogar mit Bestechung: »Wenn du jetzt schön schläfst und deine Tante diese blöde Präsentation fertig machen lässt, kauft sie dir ein Schaukelpferd.«
»Ääääää!«
»Mit sechzehn ein Mofa?«
»Uääääääääää!«
Wie hielten Eltern dieses Geschrei ohne Ohrenstöpsel, Psychopharmaka oder sonstige Drogen bloß aus, ohne dabei verrückt zu werden? Vielleicht bekamen sie nach einer Weile Hornhaut auf dem Trommelfell. Ja, genau so musste es sein!
Zum Glück brauchte selbst Ben zwischen den Schreianfällen Erholungspausen, und so schaffte ich es unter Aufbietung meiner letzten Kraftreserven doch noch irgendwie, mein Konzept in eine präsentationsreife Form zu bringen. Heureka! Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung brannte ich die Daten auf CD. Da nicht davon auszugehen war, dass Andreas und Charlotte Zeit und Muße finden würden, sich bei uns im Hotel einzuquartieren, um kulturelle oder auch andere Höhepunkte zu genießen, löschte ich das Konzept von Andreas’ Rechner. Uff, geschafft. Gerade noch rechtzeitig, bevor Ben wieder zu schreien begann.
Ring, ring, ring.
Im Halbschlaf tastete ich wie üblich links von mir nach dem Wecker. Doch da war nichts.
Ring, ring, ring.
Probehalber versuchte ich es auf der anderen Seite und ertastete neben mir auf dem Sofa ein kleines warmes Bündel, das wild hin und her zappelte. Langsam begriff ich, dass es nicht mein Wecker, sondern das Telefon gewesen war, das mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Leider war nicht nur ich, sondern auch Ben von dem Klingeln wach geworden. Die großen blauen Augen wurden geflutet, und er verzog weinerlich das Schnütchen. Oje, Unwetterwarnung! Bevor er erneut zu schreien beginnen konnte, nahm ich ihn auf den Arm und wiegte ihn sanft hin und her. Mit der freien Hand schnappte ich mir das Telefon und meldete mich verschlafen: »Bei Sommer.«
»Hi, Mel, Charlotte hier.« Im Hintergrund waren leise Musik und Gelächter zu hören. »Ich wollte nur mal nachhorchen, ob bei euch alles in Ordnung ist. Schläft Ben?«
»Jetzt nicht mehr«, knurrte ich. »Gerade ist er aufgewacht.«
»Hab ich’s doch gewusst. Siehst du, als Mutter hat man so was im Gefühl.«
Nichts gegen Charlottes Mutterinstinkte, aber das konnte ich so nicht stehenlassen. »Das Klingeln des Telefons hat deinen Sohn geweckt. Mich übrigens auch«, setzte ich noch vorwurfsvoll hinzu.
»Oh sorry. Wie gesagt, ich wollte mich nur vergewissern, dass es euch gut geht. Dann schlaft mal schnell weiter.«
Was leichter gesagt als getan war. Denn jetzt, da Ben schon einmal wach war, gelüstete es ihn nicht bloß nach einem Fläschchen, sondern auch nach einer weiteren Kostprobe meiner Sangeskunst. Und so stimmte ich wohl schon zum hundertsten Mal in dieser Nacht La Le Lu an.
Als ich um kurz nach halb drei den Schlüssel in der Haustür hörte, hatte ich den kleinen Mann gerade wieder mit
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