Aszendent Blödmann
Tatsache, dass ich mich in meiner Rolle als Lockvogel ziemlich unwohl fühlte, erstaunlich gut gelang.
Kai zog ein Gesicht, als wäre er soeben in etwas braunes Weiches getreten. »Ich hab gestern damit angefangen.«
»Sie Armer. ’ne Heidenarbeit, sag ich Ihnen. Zum Glück bin ich mit dem Kram durch.« Ich hielt den roten Schnellhefter mit den getürkten Zahlen in die Höhe. Wie Charlotte mir geraten hatte, war der Köder sorgfältig präpariert. Das Haar, das ich mit Sekundenkleber sowohl auf dem oberen als auch auf dem unteren Pappdeckel befestigt hatte, war so gespannt, dass es sofort abgehen oder zerreißen würde, wenn jemand den Schnellhefter öffnete. Ich reckte mich, gähnte demonstrativ und stand dann von meinem Schreibtischstuhl auf. »Ich brauch jetzt erst mal ein kleines Päuschen. Falls mich jemand sucht: Ich bin unten bei Verena, kann ein Weilchen dauern.«
»Lassen Sie sich ruhig Zeit, ich halte hier die Stellung.«
Mehr konnte ich im Moment nicht tun, jetzt hieß es abwarten. Ich verließ das Büro, nicht ohne dabei geräuschvoll die Tür hinter mir zuzuziehen, dann bezog ich draußen auf dem Gang vor dem Schlüsselloch Stellung. Ich war auf alles vorbereitet, aber nicht auf das, was jetzt passierte. Kai legte die Füße auf den Schreibtisch, knüllte ein Blatt Papier – vermutlich sein Anzeigenplan – zusammen und zielte damit auf den Papierkorb. Treffer, versenkt. Und schon flog die nächste Papierkugel durch die Luft. Nachdem er alle Zettel, die vor ihm auf dem Schreibtisch gelegen hatten, auf diese Art entsorgt hatte, erhob er sich und steuerte auf meinen Schreibtisch zu.
Mein Pulsschlag beschleunigte sich. Gespannt hielt ich die Luft an. Doch anstatt sich wie erwartet an meinem Schreibtisch zu bedienen, ging er neben dem Hamsterkäfig in die Hocke und öffnete das Törchen. Er würde dem armen Fred doch wohl nichts antun! Freds Leben für den Kotflügel seiner Heckflosse … Meine Hand lag bereits auf der Türklinke, und ich war drauf und dran, ins Büro zu stürmen, um Fred zu Hilfe zu eilen, als ich hinter mir Geräusche hörte. Schnell richtete ich mich auf und wich ein paar Schritte von der Tür zurück. Zum Glück war es nur Claus-Dieter, der wieder einmal völlig in Gedanken war und bei unserem Beinahezusammenstoß mindestens ebenso sehr zusammenzuckte wie ich.
»Willst du zu mir?«, fragte ich.
»Nein, zu Kai.«
»Oh, das ist im Augenblick ganz schlecht«, versuchte ich Claus-Dieter abzuwimmeln. »Er führt gerade ein wichtiges Telefonat, ich bin extra rausgegangen, um ihn nicht zu stören.«
»Gut, dann komme ich eben später wieder«, sagte Claus-Dieter und trollte sich brav.
Nachdem er verschwunden war, ging ich wieder auf meinen Beobachtungsposten. Glücklicherweise erfreute Fred sich bester Gesundheit, ja mehr noch: Er schien sich sogar auf Kais Hand ziemlich wohlzufühlen.
»Warten Sie hier vielleicht auf den Bus?« Ich fuhr ertappt herum, dabei spürte ich, wie mein Gesicht heiß wurde. Aus und vorbei war’s mit der vornehmen Blässe. Hatte Ilka womöglich gesehen, dass ich durch das Schlüsselloch geäugt hatte?
»Ähm … nein, mir ist ein Ohrring runtergefallen.«
Hastig ging ich in die Hocke und krabbelte auf allen vieren auf dem Boden herum. Um nicht zu riskieren, dass ich noch einmal beim Spionieren erwischt wurde, flüchtete ich schnell auf die Toilette. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass alle Kabinen leer waren, rief ich von meinem Handy aus Charlotte an.
»Der Köder ist ausgeworfen«, sagte ich nach einer knappen Begrüßung.
»Hat er schon angebissen?«, fragte Charlotte aufgeregt. »Komm, jetzt erzähl schon!«
»Bis jetzt noch nicht.«
»Er wird – verlass dich darauf.« Charlotte war zuversichtlich, und auch ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Kai diese Chance ungenutzt verstreichen lassen würde.
Eine halbe Stunde später kehrte ich, gespannt wie ein Flitzbogen, in unser Büro zurück. Mein Herz klopfte aufgeregt, als ich so unauffällig wie möglich den Schnellhefter unter die Lupe nahm. Mist, Mist, Mist! Die Mappe war während meiner Abwesenheit nicht geöffnet worden, wie sich anhand des Haares, das immer noch völlig unversehrt war, leicht feststellen ließ. Hatte ich Kai nicht genug Zeit gelassen? War er womöglich gestört worden? Brauchte er seit Neuestem eine schriftliche Einladung für seine Betrügereien?
Während ich darüber nachsann, was bei meinem Plan schiefgelaufen sein könnte, klopfte es an der
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