Aszendent Liebe: Roman (German Edition)
im Radio sehr viel wohler fühlt, sprach durch mich.
»Also, Holly, wenn ich zurückblicke, dann wird mir klar, dass ich immer Dinge ›wusste‹, selbst als kleines Kind. Ich wusste nicht, dass das etwas Besonderes war. Ich dachte, dass alle dies tun könnten. Als ich älter wurde, begriff ich, dass es ein einzigartiges Geschenk war, aber ich sah es immer noch nicht als etwas Außergewöhnliches an. Auch wenn es seltsam klingt, so spürte ich irgendwie, dass es etwas war, das andere nicht verstehen würden und das ich besser für mich behalten sollte.«
»Haben Ihre Eltern es denn verstanden, oder waren sie Ungläubige?« Bei ihr klingt das Wort Ungläubige, als hätten meine Eltern mit Kinderpornographie gehandelt.
»Meine Eltern haben sich getrennt, als ich noch sehr jung war. Um ehrlich zu sein, habe ich meinen Vater nicht oft gesehen. Meine Mom musste viel arbeiten, um uns zu ernähren, daher hatte sie nicht viel Zeit, um sich Gedanken um meine ›Vorahnungen‹ zu machen. Ich glaube, dass für hellseherische Fähigkeiten dasselbe gilt wie für alle Begabungen: Man braucht Übung. Eine lange Zeit habe ich sie einfach nicht ausgeübt.«
»Wieso hat sich das geändert?«
»Vor kurzem habe ich eine persönliche Enttäuschung erlebt. Jemand, der mir sehr viel bedeutet hat, hat mich verletzt. Da wurde mir bewusst, dass ich eigentlich gewusst hatte, dass es passieren würde. Ich wollte anfangen, auf diese innere Stimme zu hören, anstatt mich vor ihr zu verstecken. Ich wollte versuchen, mich von der Verletzung zu heilen und anderen zu helfen. Ich sehe mich sicher nicht als Profi, aber wenn meine Fähigkeit anderen irgendwie hilft, nun, vielleicht bin ich dann deswegen hier, um genau das zu tun.«
Holly brabbelte irgendwas, dass sie mir gar nicht genug zustimmen könne. Dass wir oft gar nicht wüssten, dass wir das Leben anderer beeinflussten. Dass meine Vorhersage, sie solle ihren Rauchmelder überprüfen, vielleicht wie eine Kleinigkeit aussähe, aber tatsächlich Leben gerettet hat. Dann nahm sie Anrufe entgegen. Zunächst war ich nervös, aber es war leichter, als ich erwartet hatte. Viele Leute riefen einfach nur an, um ihre eigenen Geschichten zu erzählen, wie sie merkwürdige Vorahnungen hatten und, man höre und staune, die Dinge dann auch eintrafen. Zufall gehört nicht zum aktiven Wortschatz dieser Leute. Sie glauben ernsthaft, dass alles irgendeine verborgene Bedeutung hat. Sie schienen sich alle ebenfalls für hellseherisch begabt zu halten. Ich glaube, man könnte viel Geld damit machen, anderen beizubringen, ihre hellseherischen Fähigkeiten zu entdecken – vorausgesetzt, man lässt sich nicht anmerken, dass man nur so tut als ob. Jeder scheint davon überzeugt, dass er in diesem Bereich über ein immenses unentwickeltes Talent verfügt. Und selbst wenn sie nicht glauben, dass sie über diese Fähigkeiten verfügen, dann waren sie sicher, dass ich es tat. Nach den ersten paar Anrufern entspannte ich mich und genoss es.
»Können Sie mir irgendetwas über meinen Dad erzählen?«, fragt eine Anruferin, die so klingt, als weine sie bereits.
»Ich kann es versuchen. Ich sehe einen Mann und ein kleines Mädchen. Ich glaube, dass sie Papas Mädchen waren.« Im Kopfhörer schluchzt es, was mich glauben lässt, dass ich richtig liege. »Sie fühlen sich schlecht wegen Dingen, die sie als Teenager gesagt haben. Ihr Dad sagt mir, dass er wusste, dass Sie es nicht so meinten, dass Sie einfach nur in der Pubertät waren, was auch bedeutet, sich von den Eltern zu lösen.«
»Ich fühle mich so schlecht, seit er gestorben ist. Manchmal war ich einfach nur furchtbar zu ihm.«
»Er lächelt jetzt. Ich habe das Gefühl, dass er nur über eine Sache wütend ist, nämlich, dass Sie jetzt unglücklich sind. Er sagt, er habe Sie besser erzogen, als dass Sie zu viel Zeit mit Sorgen wegen dieser Dinge verschwenden sollten. Er hatte einen besonderen Kosenamen für Sie, einen Namen, den nur er benutzte...«
»Woher wissen Sie das? O mein Gott, ich kann es nicht glauben.« Sie schnappt nach Luft. Es war nicht schwer zu erraten. Wie viele Eltern geben ihren Kindern Kosenamen? Das sage ich jedoch nicht laut. »Mein Dad nannte mich sein Püppchen.«
»Nun, Püppchen, Ihr Dad sagt Ihnen, Sie sollen auf sich aufpassen. Er behält sie im Auge.« Die Frau weint noch ein wenig und dankt mir. Dieser Hellseher-Kram ist einfach, aber ich habe ein schlechtes Gewissen wegen dieser Frau, die Informationen über ihren Dad wollte.
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