Aszendent Liebe: Roman (German Edition)
gerade wieder die ›Liebe allein genügt nicht-Rede‹ halten?« Meine Mom ist berühmt für diese Rede, genau wie Martin Luther King für seine »I have a dream«-Rede. Die Kurzversion davon ist, dass Liebe schön und gut ist, man aber mit Liebe keine Rechnungen bezahlen, das Haus nicht heizen oder Essen kaufen kann. Meine Mom misstraut allen blumigen Reden über wahre Liebe. »Du bist eine Skeptikerin.«
»Ich mag Skeptiker, wenn sie an etwas glauben und weil sie wissen, dass es wahr ist, und nicht wegen irgendeines flüchtigen Gefühls. Menschen, die zweifeln, aber trotzdem glauben, nun, das sind Menschen, auf die man sich verlassen kann.« Sie widmet sich wieder dem Stapel Canapés auf ihrem Teller. Ich vermute, dass sie vor Ende des Abends Essenspäckchen in extra Servietten wickeln und in ihre Tasche stecken wird.
»Findest du, ich sollte Doug nicht heiraten?« Meine Stimme klingt ganz leise und weich, nicht laut und kraftvoll, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Meine Mom schaut sich im Saal um und flüstert dann aus dem Mundwinkel zurück, als wären wir Spione, die militärische Geheimnisse austauschen.
»Hast du Zweifel?«
»Nein, natürlich nicht. Nur das übliche Herzflattern vor einer Hochzeit. Doug und ich sind schon so lange zusammen. Er hat alles, was ich je von einem Mann wollte. Ich wollte schon so lange heiraten, es ist doch nur natürlich, nervös zu sein, ob es jetzt endlich tatsächlich passiert. Oder?« Meine Mom sagt nichts und sieht mich nur an. Ich will gerade noch etwas hinzufügen, als Jane aus der Menge auftaucht und meinen Arm nimmt.
»Dougs Mom hat mich auf die Suche nach dir geschickt. Sie will ein paar Toasts aussprechen, danach wird dann das Essen serviert.«
»Sicher.« Ich lasse mich von Jane an den Tisch am Kopfende führen. Die Bedienungen gießen Champagner in große Sektflöten, und ich stehe schließlich neben Doug, hebe eine davon hoch und schaue über die Menge.
»Ich bin mir sicher, dass Sophie dachte, dieser Tag würde nie kommen«, sagt Doug, die Menge kichert freundlich. »Ich dachte, ich könnte dem Bund der Ehe entkommen, aber ab heute Abend bin ich angekettet. Dank an all unsere Freunde und an die Familien, dass sie heute Abend mit uns feiern. Wir freuen uns darauf, euch alle bei der Hochzeit wiederzusehen.« Doug hebt das Glas, als wolle er trinken, dann hält er inne. »Und das nächste Mal, wenn wir euch sehen, erwarten wir Geschenke!« Die Leute lachen und trinken. Die Musik spielt wieder, und alle gehen zu ihren Tischen. Die Bedienungen tauchen an der Tür des Saales auf, jede mit einem Silbertablett in der Hand.
»Du isst dein Hühnchen nicht«, stellt Doug fest. Ich stupse den toten Vogel auf meinen Teller noch einmal an. Er rutscht zum Tellerrand auf den Spargel. Mein Magen fühlt sich eng und fest an. Da ist kein Platz fürs Essen. »Du hast heute noch gar nichts gegessen, heute Morgen bist du ohne Frühstück zum Wellness.«
»Ich fühle mich nicht so gut. Außerdem habe ich bei den Behandlungen Trauben bekommen«, murmele ich.
»Jetzt sei doch nicht lächerlich, dir kann einfach nicht schlecht sein.« So viel zum Thema, »in guten wie in schlechten Tagen«, nehme ich an.
»Entschuldige mich für eine Minute.« Ich verlasse den Tisch und gehe zur Toilette. Zuerst ist das eigentlich nur Schau, aber auf halbem Weg wird mir bewusst, dass ich mich tatsächlich übergeben könnte. Ich schaffe es, mit einem angespannten Lächeln an den Tischen aller unserer Gäste vorbeizukommen. Bloß eine glückliche, zukünftige Braut auf dem Weg zur Damentoilette, nichts Besonderes. Ich bemühe mich, die letzten paar Schritte nicht zu laufen.
Die Toilettentür schwingt zu, und der Lärm der Feier ist kaum noch zu hören. Die Toilette ist mit schweren, cremefarbenen Holzpanelen ausgekleidet, mit Plüsch, Strukturtapete und cremeweißen Waschbecken. Auf der Ablage steht das Übliche: Wattebällchen, Haarspray, Handcreme und Taschentücher. Ich liebe diese Toilette und kann gar nicht glauben, dass ich nicht schon früher hier drin gewesen bin. Sie ist fantastisch. Ich setze mich eine Weile und drücke mein Gesicht gegen die Wand. Mir ist gleichzeitig warm und kalt. Ich verstehe nicht, warum es sich anfühlt, als würde ich etwas verlieren, wo ich doch alles bekomme, was ich wollte.
Ich verlasse die Toilette und sehe mir die Reihe Münztelefone an, die an der Wand hängen. Ich wähle, bevor ich zu lange darüber nachdenke. Bedeutet das etwa, dass ich die Handynummer
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