Aszendent zauberhaft
Schlange sich aufgelöst und mit ihr der scharenweise Andrang begeisterter Rentner. Als die Twilighter wieder in ihren eigenen Gemächern verschwunden waren oder nach draußen ins Gelände, um, na ja, zu tun, was auch immer alte Leute in Altersheimen so taten, an ihrem, ähm, Lebensabend, lehnte sich Phoebe erschöpft im Stuhl zurück.
Soweit sie wusste – und die meisten Leute hatten sich ihr munter namentlich vorgestellt – war Essie nicht unter ihren Astrologieklienten gewesen. Vielleicht war die arme Frau noch immer traumatisiert und wagte sich nach Rockys Überfall nicht unter die Leute, vielleicht hatte sie aber auch das Glück, wieder ausgeführt zu werden. Wie auch immer, es war doch eine leise Enttäuschung. Phoebe hätte sich gerne selbst davon überzeugt, dass Rockys Opfer wohlauf und guter Dinge war.
»Hi, Honey!« Eine üppige große schwarze Dame im grellrosa Kaftan beugte sich über den Tisch. »Ich bringe Ihnen eisgekühlten Orangensaft. Die enorme Joy hat Ihnen bestimmt noch keinen Tropfen angeboten, oder?«
Dankbar lächelnd schüttelte Phoebe den Kopf und trank den Saft in großen Schlucken. Ihr Hals war wie ausgedörrt vom vielen Reden.
Herrlich. Enorm herrlich, dachte sie kichernd.
»Sie waren gut, Honey, und danke, dass Sie zu Bert so nett waren. Er ist ein lieber Mann, aber unglücklich. Sie haben ihn zum Lächeln gebracht, und das ist wirklich schön zu sehen. Ich bin übrigens Lilith.«
»Phoebe – und vielen Dank für den Saft.«
»Gern geschehen – Sie haben da ja einen echten Volltreffer gelandet. Alle lieben Sie. Sie werden regelmäßig kommen müssen. Und das ist nur gut so, denn wir gehen hier vor Langeweile schon die Wände hoch.«
»Ja, Prinzessin sagte auch so etwas, als ich ihr neulich die Haare gemacht habe. Ich habe mit einigen meiner Freundinnen gesprochen, ob sie nicht herkommen könnten, um für Unterhaltung zu sorgen, aber es müsste doch auch einen Weg geben, dass Sie hier selbst etwas auf die Beine stellen.«
Lilith lachte wie ein Schokoladenvulkan. »Aber natürlich, Honey. Allerdings halten wir uns bei manchen Sachen lieber
bedeckt. Was die enorme Joy und der kleine Tony nicht wissen, darüber brauchen sie sich auch nicht aufzuregen. Seit Essies letzter Aktion sind sie nämlich strikt gegen Wahrsagerei.«
Essie – schon wieder. Wie merkwürdig. Phoebe runzelte die Stirn. Vielleicht war Essie diejenige, die laut Joy »Hokuspokus« veranstaltet hatte. Armes Altchen, dachte sie, wahrscheinlich hat sie Teeblätter gedeutet oder so.
»Tatsächlich? Warum war sie dann nicht hier?«
»Wollte sich nicht in die Karten schauen lassen.« Lilith nickte. »Meinte, wenn sie Ihnen zuhört, könnte sie es sich womöglich nicht verkneifen, sich einzumischen. Die enorme Joy beobachtet sie mit Adleraugen. Essies Vorhersagen sind nicht, na ja, vielleicht ganz so blütenweiß wie es die Tugwells gerne hätten. Joy hat ihr einmal sogar vorgeworfen, sie stünde mit dem Teufel im Bunde.«
Der lachende Vulkan brach von Neuem aus.
Mensch, dachte Phoebe, eine alte teufelsbündnerische Teeblätterdeuterin!
»Klingt, ähm, faszinierend.«
»Ach, das ist sie auch, Honey. Wenn Sie diese Sache hier regelmäßig machen wollen, müssen Sie unbedingt mal mit Essie reden.«
Und zwar nicht nur über dieses eine Thema, dachte Phoebe.
»Glauben Sie, das wäre möglich? Ich meine, mit ihr zu reden? Heute Abend? Ist sie hier?«
»In ihrem Appartement, Honey. Sie erwartet Sie schon.«
10. Kapitel
D ie Korridore mit cremefarbenen Wänden und beigen Teppichen vor den Appartements in Twilights erinnerten Phoebe an eine blitzblanke, unpersönliche Privatklinik. Es herrschte dieselbe nichtssagende Atmosphäre allumfassender, beängstigender Zweckmäßigkeit.
Phoebe war Lilith gefolgt und klopfte nun kurz an die Tür von Nummer neunzehn.
»Nur herein – ich bin in der Küche. Die Tür ist offen.«
War das richtig?, dachte Phoebe. Was, wenn …
Zögerlich drückte sie die Tür auf, eine Wolke würzigen Duftes wehte ihr entgegen, und sie konnte nur mit Mühe ihre Überraschung verbergen.
Sie hatte eine gebrechliche, zarte alte Dame in schlaffem Blumenkleid und ausgelatschten Pantoffeln erwartet und war bei Essies Anblick ganz verblüfft.
»Hallo Phoebe. Ich habe Sie erwartet. Lilith hat es also geschafft, Ihnen die Botschaft zu überbringen, ohne dass die enorme Joy etwas bemerkt hat? Gut, gut. Schön, Sie kennenzulernen. Frisch und sommerlich sehen Sie aus, so in Rosa und Weiß. Wie ein
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