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@ E.R.O.S.

@ E.R.O.S.

Titel: @ E.R.O.S. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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durchsichtiges schwarzes Kleid, eine silberne Halskette und silberne Ohrringe. Ihr Haar ist hochgesteckt und enthüllt ihren anmutigen Hals, die nackten Schultern und denscheinbar jungfräulichen Busen. Sie streckt beide Arme zur Tür aus und reicht einer Gestalt, die im Schatten des Torbogens steht, einen silbernen Kelch. Eine bleiche Hand, die darauf wartet, den Kelch entgegenzunehmen, ist in der Dunkelheit sichtbar. Die großen Steine, die den Bogen bilden, weisen auf ein Schloß oder eine Kathedrale hin und scheinen jedes Licht aus der Luft zu saugen, so daß sogar Erins dunkle Haut, ihr Haar und die Augen durchsichtig zu sein scheinen, als würden sie von einem inneren Leuchten erhellt. Das Bild ist eine Studie der Gegensätze: der Blick eines Heiligen auf das Gesicht einer Hure, ein schwarzes Gewand auf dem Körper einer Braut, warmes Licht, das in einer Szene fleischlicher Kommunion aus der Dunkelheit fließt. Das Bild strahlt eine zeitlose Macht aus, die Miles in dem Augenblick erkannt haben muß, da er es sah.
    Ich klappe das Album mit einem Seufzen zu.
    Meine Videokamera liegt draußen, weil Miles sie benutzt hat, um dieses Foto in digitaler Form zu reproduzieren. Dann hat er dieses Videobild – ein Einzelbild – auf die Diskette übertragen, die ich in der Jackenskulptur fand. Er hatte wahrscheinlich einen Bild-Scanner in seiner Computertasche. Miles hatte gesagt, sein Trojanisches Pferd würde seinem Namen Ehre erweisen, und es auch so gemeint. Das Bild von Erin ist sein Pferd, und innerhalb seines scheinbar harmlosen Kodes befindet sich – genauso tödlich wie jedes griechische Heer – das Programm, das er entworfen hat, um Brahma zu vernichten, worum auch immer es sich dabei handeln mag.
    Plötzlich erfüllt ein wildes Summen das Büro. Ich gehe in die Hocke und versuche hektisch, die Quelle des Geräusches ausfindig zu machen.
    Mein Wecker. Im vergangenen Jahr habe ich ihn vielleicht zweimal gestellt, und nun kommt mir sein Geräusch so unvertraut wie eine Luftschutzsirene vor.
    Er zeigt eine Minute vor neun.
    Miles hat ihn offensichtlich gestellt, damit ich Brahmas nächstes Einloggen nicht vergesse. Wie von Miles’ Willen genötigt,schalte ich den Wecker aus, gehe dann zum EROS-Computer und betrachte den Bildschirmschoner, die Büste Nofretetes, die sich hypnotisch in dem schwarzen Feld dreht. Der Drang, die Tastatur zu berühren, auf dem Weg des Wissens voranzuschreiten, ganz gleich, wie gefährlich es sein mag, ist fast unwiderstehlich.
    »Zum Teufel mit dir, Miles.«
    Ich krümme die Finger wie ein Geiger, der sich für ein Konzert aufwärmt, berühre ein paar Tasten, schalte den Bildschirmschoner damit aus und logge mich als SYSOP in EROS ein. Aus meiner bevorzugten Systemstellung heraus durchforste ich den Block der privaten Räume, in dem sich der Blaue Raum befindet.
    Brahma ist dort.
     
    MAXWELL>
Erin? Die trockene Erde erwartet den Regen.
     
    Gänsehaut läuft über meine Arme. Ich komme mir vor, als hätte ich gerade die Badezimmertür geöffnet und festgestellt, daß ein Fremder hinter dem Duschvorhang wartet. Mit einem schnellen Mausklick logge ich mich aus, sitze da und starre auf den schwarzen Bildschirm.
    Kurz darauf erscheint Nofretete wieder. Sie ist wunderschön, aber kalt. Irgendwie flüstert sie mir durch die Jahrtausende zu, wie trivial das alles ist, meine Gedanken darüber, wer lebt und wer stirbt. Sie ist ein weiteres Gesicht des Mannes, der im Blauen Raum auf mich wartet, und eine rücksichtslose Laune in meinem Blut will mich dazu treiben, die Herausforderung anzunehmen. Ich stehe auf und gehe zum Gateway, nehme die Diskette mit Miles’ Trojanischem Pferd, lege sie neben die EROS-Tastatur und setze mich wieder.
    »Na schön, du Arschloch«, flüstere ich und setze den Kopfhörer auf. »Komm zu Papa.«
    Mit wildem Vergnügen hämmere ich auf die Tasten, die mich in »Erin« verwandeln und in den Blauen Raum bringen, in dem »Maxwells« Anforderungszeichen noch immerschwach leuchtet. Ich werde mir plötzlich der klimatisierten Kälte im Haus bewußt, der toten Hitze draußen, der versengten Baumwolle auf den Feldern und Miles’, der sich irgendwo durch die Blätter zwängt, und der mißhandelten Leichen der Frauen, die kopflos in trockenen Gräbern unter der Erde liegen, und Lenz’ armseliger Hülle von Ehefrau, die jetzt ebenfalls tot ist, und Rosalind Mays, die vielleicht noch lebt und der es deshalb noch schlechter ergeht. Während mir das alles und noch mehr

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