@ E.R.O.S.

wurde eine Tochter geboren, Catherine. Damals stellte man fest, daß Richard an Hämophilie litt. Sein Zustand war unter Kontrolle, solange er sich keine traumatischen Verletzungen zuzog, doch sein »Handicap« trug zu seiner byronschen Persönlichkeit bei.
    Schon in frühem Alter zeigte Richard, daß es sich bei ihm um ein Genie handelte. Er bekam von Privatlehrern eine makellose Ausbildung, während Catherine vom vierten Lebensjahr an in Musik und Ballett unterwiesen wurde. Die Familie führte bis 1929 eine idyllische Existenz. Beim Zusammenbruch der Börse verlor Rudolf über Nacht sein Vermögen. Er konnte noch immer als Arzt praktizieren, doch nun handelte es sich dabei nicht mehr um ein lukratives Hobby; er mußte damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Als mehrere Freunde von ihm Selbstmord begingen, stellten sich bei ihm schwere Depressionen ein. Sein Verhalten wurde launenhaft, und er sperrte sich und seine Familie praktisch in
     
    Die Lautsprecher verstummen wieder. Ich weiß nicht genau, was ich tun soll, und tippe schließlich:
     
    ERIN>
Was ist los? Alles in Ordnung mit dir?
    MAXWELL>
Ja. Es erweist sich als schwieriger, als ich dachte, die Geschichte zu erzählen, ohne zu viel zu verraten.
    ERIN>
Wovor hast du Angst?
    MAXWELL>
Wenn ich fertig bin, wirst du es verstehen. Ich stehe im Augenblick unter großem Druck. Ich arbeite an einem großen Versuch. Gewisse Leute möchten mich aufhalten. Sie verstehen mein Werk nicht.
    ERIN>
Aber du glaubst, daß ich es verstehen werde?
    MAXWELL>
Vielleicht. Ich bin mir nicht sicher.
    ERIN>
Ich muß dir sagen, auch ich stehe unter großemStreß. Kurz vor dem Zusammenbruch, um die Wahrheit zu sagen. Verrate mir nichts, das du nicht verraten willst, aber es hilft dir vielleicht, wenn du es dir von der Seele redest. Ich weiß, was es heißt, ein Geheimnis zu lange zu bewahren.
    MAXWELL>
Wenn ich weitermache, darfst du eins nicht vergessen. Wissen ist eine Last. Es hat einen Preis. Denke an den Garten Eden.
    ERIN>
Keine Bange. Ich hätte eine sehr gute Eva abgegeben. Ich hätte Adam oder dem Teufel vorgeworfen, den Apfel gepflückt zu haben, während ich für Gott Apfelwein machte. Wegen solcher Gespräche habe ich EROS überhaupt abonniert.
    MAXWELL>
Du bringst mich tatsächlich zum Lachen. Ich fahre also fort. Nachdem Rudolf sein Vermögen verloren hatte, sperrte er sich und seine Familie praktisch in ihrem Sandsteinhaus in der Stadt ein. Er behandelte nur noch so viele Patienten, daß er das Essen auf den Tisch bringen konnte. Das zentrale Thema ihres Lebens blieb Richards Ausbildung, besonders in Anatomie und Physiologie. Meine Großmutter lehrte Catherine auf ihrem Bösendorfer das Klavierspiel. Nach fünf langen Jahren der Depression – sowohl der persönlichen als auch der der Nation – schloß Rudolf sich in seinem Arbeitszimmer ein und jagte sich eine Kugel durch den Kopf. Richard entdeckte die Leiche. Obwohl er erst zwölf Jahre alt war, wurde er zum Oberhaupt der Familie. Er schrieb nach Deutschland und bat um Hilfe, und Onkel Karl schickte Geld und schlug vor, daß Richard die Familie damit nach Berlin zurückbringen sollte. Aber Richard wußte, daß sein Onkel in diesem Fall sehr schnell den Platz seines Vaters einnehmen würde. Er überzeugte seine Mutter, daß sie versuchen sollten, sich in Amerika zu behaupten. Während Richard das Geld seines Onkels wie ein Mann verwaltete, der das Trinkwasser der Insassen eines Rettungsbootes rationierte, setzte er seine Studien allein fort und benutzte dazu die großartige Bibliothekseines Vaters. Der Ehrgeiz trieb ihn, und sein einziges Ziel war es, den Status und das Vermögen zurückzugewinnen, das sein Vater verloren hatte.
    Stellen Sie sich die Szene vor. Ein dunkles Herrenhaus, leer bis auf drei Menschen. Ein wunderschöner Junge, der neben einer Öllampe sitzt und Grays Anatomie und Aischylos liest, bis die Buchstaben vor seinen Augen verschwimmen. Eine senile Mutter, die ihrer Tochter mit einem Lineal auf die Finger schlägt, wenn sie Fehler bei ihrem Beethoven macht, und nur Deutsch spricht; der Junge bringt seiner Schwester Englisch bei, wenn die Mutter schläft. Daß sie überlebt haben, war ein Wunder. Sie bekamen nur zu essen, was Richard billig kaufen oder stehlen konnte, während draußen eine Stadt und Nation verhungerten. Rudolf hatte seinem Sohn beigebracht, wie er mit seiner Hämophilie umzugehen hatte, wie er zu Krankenhäusern gehen und heimlich in großen Mengen Blut kaufen mußte, damit er