@ E.R.O.S.
Software-Interface von EROS so auszuweiten, daß es Übertragungen von Bildern zwischen den Abonnenten unterstützt. Wahrscheinlich hatte er Dutzende von digitalen Fotos auf seiner Festplatte oder auf Disketten in seiner Computertasche. Falls eines davon eine wunderschöne Frau zeigte, die in etwa so aussieht, wie ich »Erin« beschrieben habe, wird er es benutzt haben.
Obwohl ich Miles mehrfach versichert habe, daß unser Spiel mit Brahma vorbei ist, spüre ich, daß mein Puls sich beschleunigt. Es ist zehn vor neun. In zehn Minuten wird Brahma im Blauen Raum nach »Erin« suchen. Ich schiebe meinen Stuhl vom Gateway zurück und stehe auf. Das Gefühl, umzingeltzu sein, überkommt mich wieder, und die Unordnung im Raum verstärkt meine Angst nur. Die Schränke sind am schlimmsten. Wertloses Gitarrenzubehör und teure Regaleinsätze wurden mit gleicher Mißachtung herausgerissen. Selbst meine Videokamera liegt unter einem Stapel alter Schuhe und Stiefel auf dem Boden.
Als ich die Kamera aufhebe, frage ich mich, was sie in meinem Schrank zu suchen gehabt hat. Normalerweise liegt sie auf dem obersten Regal im Schrank in der Diele, sofort greifbar, falls wir Holly während eines Besuchs filmen wollen. Drewe kann sie nicht hierher gelegt haben; sie betritt mein Büro ja nicht mehr. Damit bleiben Buckners Deputies übrig.
Und Miles.
Mit einem hohlen Gefühl in der Brust lasse ich den Blick durch den Raum schweifen. Der im Büro verstreute Plunder kommt mir bekannt vor; bei einem Großteil davon handelt es sich um altes Zeug, das ich schon längst hatte wegwerfen wollen, aus unerfindlichen Gründen dann aber doch behalten habe. Aber irgend etwas kann nicht in dieses Bild passen.
Da. Auf der rechten Seite des EROS-Computertisches liegt ein Fotoalbum, das zu all den anderen Alben, die Drewe sorgsam angelegt hat, ins Wohnzimmer gehört. Aber das ist kein normales Familienalbum. Es ist ein Portfolio aus der Zeit, da Erin als Model arbeitete. Ich gehe durch den Raum und öffne das Portfolio mit der vertrauten Mischung aus schlechtem Gewissen und Entdeckungslust. In den vergangenen drei Monaten – seit Erin mir über Holly die Wahrheit gesagt hat – bin ich an ein paar Abenden leise ins Wohnzimmer geschlichen und habe dieses Album in mein Büro geholt, wo ich die Seiten dann in einem Zustand der Entrückung betrachtet habe. Es ist ein seltsames und schreckliches Gefühl, wenn man weiß, daß seine Gene sich mit der einer anderen Person verschmolzen haben, in Gestalt eines wunderschönen Kindes, das man niemals als das seine anerkennen kann.
Ich kenne jedes Foto des Portfolios ganz genau. Bei denersten Seiten handelt es sich um Titelseiten von Zeitschriften: Glamour, Harper’s Bazaar, Vogue. Dann kommt eine ganzseitige Anzeige, die in der französischen Ausgabe von Elle erschien. »Miles«, murmele ich, während ich das Bild betrachte, auf dem Erin halbnackt in Unterwäsche zu sehen ist. Erin schaut mit verblüffender Selbstbeherrschung von der Seite hoch. Wie viele Models habe ich in meinem Leben gesehen? Sie schauen hinter gleißenden Lettern hervor, bemühen sich um Distanziertheit und Aufrichtigkeit und schaffen es nie so ganz. Sieh mich an, flehen sie. Ich bin ein ganz besonderes Geschöpf, eine der Auserwählten. Doch bei den meisten genügt ein Blick, der nicht länger ist, als man braucht, um seine Einkäufe zu überfliegen, um die Verblendung zu durchschauen.
Nicht so bei Erin.
Miles hatte recht, dieser Mistkerl. Das Gefühl verschwindet nie. Es verschwindet nie, weil Erin für ein Leben steht, das sich viel zu sehr in dem Zyklus von Geburt und Sex und Tod bewegt und das wir in der westlichen Welt seit viel zu vielen Jahrhunderten zu verleugnen versuchen. Eine Frau, die zwischen den unterdrückten Männern des zwanzigsten Jahrhunderts wandelt und die Gezeitenkraft des Mondes und die sexuelle Anziehungskraft des Erfolgs ausstrahlt, ist wie ein menschliches Tiefdruckgebiet. Ein Auge, das auf einen Hurrikan wartet. Und ich wurde, wie so viele andere, so unerbittlich hineingezogen wie eine Palme, die am Strand einer Insel entwurzelt wird.
Als ich das Portfolio schnell durchblättere, stoße ich auf eine leere Plastikhülle. Ich weiß, was hierher gehört, und finde es am Ende des Portfolios, zerknittert, weil man es hastig hineingesteckt hat. Es ist ein vierundzwanzig mal dreißig Zentimeter großes Schwarzweißfoto. Darauf steht Erin im Viertelprofil auf nassen Steinstufen vor einem Torbogen. Sie trägt ein
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