@ E.R.O.S.
vorbei und pflügt durch die Deputies hindurch zum Flur. Meine Blicke verfolgen die Kaschmirjacke, bis sie durch die Küchentür verschwindet.
Als die Haustür endlich zuknallt, gehe ich langsam durch das Haus. Jede Schranktür wurde aufgerissen, Schuhe und Stiefel und Kleidung liegen auf dem Boden verstreut. Die Tür zum Dachboden hängt schief in ihren Scharnieren. Als ich zur Küche zurückgehe, brummen draußen schwere Detroit-Motoren auf. Nachdem ich mich überzeugt habe, daß die Hintertür geschlossen ist und die Vorhänge zugezogen sind, öffne ich die Falltür im Boden der Speisekammer. Der Geruch von Schimmel und Insektiziden schlägt mir mit einer Welle entgegen.
»Miles?«
Keine Antwort.
»Miles? Bist du da unten?«
Nichts.
Ich lasse die Falltür aufgeklappt, kehre zur Hintertür zurück und öffne sie. Auf der anderen Seite unseres Hofes steht der lange, offene Werkzeugschuppen, in dem mein Großvater seinen Traktor, Pflug, die Scheibenegge und die Handwerkzeuge aufbewahrte. Das verrostete Gebäude aus Ziegeln und Wellblech ist mittlerweile kaum mehr als eine Ruine und dient hauptsächlich als pittoreske Stütze für die großen Feigenbäume, die es umgeben. Miles könnte sich darin verstecken, aber ich bezweifle es. Der Außeneingang des Bunkers befindet sich sechs Meter hinter dem Schuppen auf dem Feld. Falls Miles dort herausgekommen ist, wird er tiefer in die schützende Baumwolle gekrochen sein.
Mein Blick wandert über das staubige weiße Meer, das um acht Uhr morgens bereits vor Hitze schimmert. Ich erwarte halbwegs, daß Miles sich mitten auf dem Feld wie eine Vogelscheuche erhebt, werde aber enttäuscht. Vielleicht hockt er in einer Ecke des Bunkers noch über seinem Aktenkoffer. Aber irgendwie weiß ich, daß dem nicht so ist. Er hat Dreweversprochen, falls die Polizei hier nach ihm suchte, würde er verschwinden und nicht zurückkommen. Und Miles hält sein Wort.
Eine Bewegung am anderen Ende des Feldes erregt meine Aufmerksamkeit, doch als ich die Augen zusammenkneife und in diese Richtung schaue, kann ich nichts mehr ausmachen. Miles? Es hätte genausogut einfach nur ein Reh sein können.
Nachdem ich die Tür geschlossen habe, schenke ich mir eine Tasse Kaffee ein und setze mich an den Küchentisch. Ich kann die geöffnete Falltür in der Speisekammer gerade noch sehen. Ich werde Miles noch eine halbe Stunde geben und sie dann schließen.
Während ich einen Schluck trinke, denke ich über die Rätsel des Morgens nach. Warum hat die Polizei meine Computer nicht beschlagnahmt? Mir fallen zwei mögliche Antworten ein. Erstens: Das FBI hat die Durchsuchung meines Hauses angeordnet, den Sheriff aber angewiesen, meine Computer nicht anzurühren. Das würde bedeuten, daß Baxter noch immer möchte, daß ich als SYSOP arbeite, was wiederum darauf hinweist, daß er eine Wiederholung von Lenz’ fehlgeschlagener EROS-Strategie in Erwägung zieht. Zweitens: Das gestrige Debakel in Virginia hat die örtlichen Polizeibehörden, die in den Fall verwickelt sind, zur Überzeugung gebracht, daß das FBI die Kontrolle über die Ermittlung verloren hat. Sheriff Buckner hat die Anweisung bekommen, ein für alle Mal festzustellen, ob Miles hier war oder nicht. Indem Buckner meine Computer nicht angerührt hat, zeigt er, daß er über die Bundesbehörden zwar die Nase rümpft, aber nicht das Risiko eingehen will, eine FBI-Ermittlung zu verpfuschen, indem er den Betrieb von EROS unterbricht.
Damit bleibt das Rätsel der Kaschmirjacke und der Diskette übrig. Warum in Gottes Namen sollte Miles meine Jacke nehmen, das Trojanische Pferd darin verstecken und dann beides zurücklassen? Ist er zur Hintertür gelaufen, weil er dachte, er könnte durch die Felder fliehen und müsse sichnicht in den engen Tunnel begeben? Ist er fast den Deputies in die Arme gelaufen, die schon auf dem Hof gewartet haben mußten, als Drewe und ich frühstückten? Haben Sie ihm eine solche Angst eingejagt, daß er die Jacke einfach fallen ließ und ohne sie in den Tunnel stieg? Nein. Hätte er einen der Gegenstände, an denen mir am meisten liegt, einfach mitgenommen, ohne zu fragen? Ich muß daran denken, wie er die Skulptur der Jacke in meinem Büro bewunderte, aber ...
Ich verstecke die Diskette, wo du sie finden wirst.
Ich stehe abrupt auf. Wie ein Schlafwandler gehe ich den Korridor zu meinem Büro entlang. Ich kann nicht fassen, daß die Deputies in so kurzer Zeit so viel Schaden anrichten konnten. Sie haben Möbelstücke
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