@ E.R.O.S.
sinnlos. Holly lehnt sich zurück. Ihre Augen sind groß und besorgt. Sie berührt die Tränen auf meinen Wangen.
»Du vermißt sie auch?«
»Ich vermisse sie auch, Schätzchen.«
Mit einer Mischung aus Traurigkeit und Trotz, wie ich sie auf Erins Gesicht oft gesehen habe, schiebt sie ihre Unterlippe vor.
»Mir geht’s gut, Schätzchen. Dank dir.«
»Opa und Daddy sagen, Mommy ist im Himmel«, flüstert sie. »Und paßt auf uns auf. Stimmt das? Ich kann sie da oben nicht sehen.«
»Hör auf deinen Daddy«, flüstere ich zurück und wünsche mir, ich hätte Patricks blindes Vertrauen in Gott und all den Rest.
»Wir müssen gehen, Süße«, sagt Drewe, die plötzlich neben mir steht.
Sie zieht Holly zurück, geht zur Treppe und drückt sie in Patricks Arme. Der symbolischen Bedeutung dieser Handlung kann man sich nicht entziehen. Patrick winkt mir ausdruckslos zu, dreht sich dann um und geht ins Haus. Holly beobachtet mich dabei über seine Schulter hinweg.
Ich atme tief ein und steige in den Explorer. Drewe sitzt schon darin, das Gesicht ernst nach vorn gerichtet. Die erste Viertelstunde der Fahrt verläuft unter verlegenem Schweigen. Die abgeernteten Baumwollfelder sehen so öde wie Schlachtfelderaus, und die Hoffnung, die ich noch vor kurzem verspürt habe, gerät bei ihrem Anblick ins Wanken.
»Ich habe uns ein Haus besorgt«, sage ich fast als Rechtfertigung.
»Was?«
»Ich habe uns ein Haus besorgt. In Ridgeland. Wir können noch diese Woche einziehen. Wenn es morgen noch nicht fertig ist, können wir uns ein Hotel nehmen.«
Sie sieht mich nur kurz an, aber ich nehme Dankbarkeit in ihrem Blick wahr.
»Drewe ...«
»Schon gut, wir müssen darüber sprechen«, sagt sie zu laut. »Das Schlimmste, was wir tun könnten, wäre, es zu verstecken wie ein zerbrochenes Glas. Irgendwann würden wir hineinfassen, uns daran schneiden.«
»Weiß Patrick etwas?«
Sie sieht wieder nach vorn, als hielte sie nach unserer Auffahrt Ausschau, die wir notfalls auch mit verbundenen Augen finden könnten. »Nein.«
»Erin wollte ihm die Wahrheit sagen, Drewe. Das hat sie mir an ihrem Todestag gesagt. Sie wollte es ihm an eben diesem Abend sagen. Und sie wollte, daß ich es dir sage.«
Sie wischt eine Haarsträhne aus ihren Augen. »Was meinst du, wollte sie auspacken, weil sie glaubte, keine andere Wahl mehr zu haben? Daß Patrick sie verlassen würde, wenn sie es ihm nicht sagen würde?«
Ich zucke mit den Achseln. »Keine Ahnung. Erin kam mir an diesem Tag verändert vor. Als wäre sie zu einem ganz anderen Menschen geworden. Ich habe mich wirklich geschämt. Sie hat einen Entschluß gefaßt und wollte sich nicht davon abbringen lassen.«
»Erzähl mir das nicht, Harper.«
»Es tut mir leid. Ich wollte nur, daß du die ganze Wahrheit kennst.«
Sie dreht sich zu mir um, und ihre grünen Augen brennen. »Die Wahrheit? Ich werde dir sagen, wie die Wahrheit aussieht.Patrick ist ein guter Mensch. Ein guter Vater. Selbst während des Irrsinns der letzten paar Wochen hat er Holly nichts davon merken lassen. Jetzt, wo Erin tot ist, wird seine Besessenheit nachlassen. Du solltest ihn sehen. Er klammert sich an dieses Kind wie an einen Rettungsring. Ich glaube, ihm ist klargeworden, wie dumm er war, Zeit damit verschwendet zu haben, Erin wegen der Vergangenheit verrückt zu machen. Denn jetzt ist sie tot. Ich bezweifle, daß er noch mehr Zeit verschwenden wird.«
»Du sagst also ...«
»Ich sage, daß Patrick das mit dir und Erin nie erfahren wird. Und Holly auch nicht. Es wird für dich schwerer als für alle anderen sein, beobachten zu müssen, wie sie aufwächst, ohne zu wissen, was du in Wirklichkeit für sie bist. Aber es muß so sein. Verstehst du?«
Ich nicke stumm.
»Eine Weile werden sie uns und meinen Eltern noch nahestehen. Aber Patrick wird irgendwann wieder heiraten, und dann werden sie sich von uns entfernen. Das wird dir weh tun. Es wird sogar mir weh tun. Aber so ist das Leben nun mal. Und irgendwo draußen in der weiten Welt wird ein kleines Stück von Erin und dir leben. Noch lange, nachdem wir tot sind.« Drewe wendet abrupt den Blick ab, und mir wird klar, daß sie Tränen verbirgt. »Aber sie wird klarkommen. Sie stammt von guten Leuten ab. Verpaß die blöde Einfahrt nicht.«
Ich trete auf die Bremse und ziehe den Wagen auf den Schotter.
»Dann ist die Sache abgemacht?« fragt sie, als ich den Wagen um Drewes Acura lenke und anhalte.
»Ja.«
»Gut. Packen wir die notwendigsten Sachen
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